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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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zu Gesicht bekommen hatte. Nachdem man sie gebadet, gekämmt, geschminkt und festlich gekleidet, wurde sie vor Timur gebracht. Ihr Mantel aus dem berühmten roten Samarkander Samt, darüber die weißen langen Tücher – fünfzehn Dienerinnen hielten ihre Schleppe, drei weitere ihren Kopfschmuck, sobald sie eine Bewegung machte. Man mußte sie stützen, dermaßen schwach war sie auf den Beinen. In ihr schwarzes Haar hatten sich inzwischen silberne Strähnen eingeflochten. Nach wie vor jedoch war sie wunderschön, wie sie vor ihrem Gebieter auf die Knie fiel, auf dem Teppich lag.
    Timur ließ sie zu sich führen und überreichte die Marmorkugel. Nazira, mit zusammengekniffenen Lidern, bestarrte sie einige Sekunden lang, sah das zerrissene Seidenband, begriff, daß Toktamisch die Kugel bloß entrissen worden, nicht in aller Ruhe abgenommen, nachdem man ihn getötet. Da brach sie in schrilles Gelächter aus, das in hysterisches Gekreische überging. Gleichzeitig lachend und weinend klappte sie zusammen, die Kugel entglitt ihren Händen und rollte über den Teppich, ein Lakai fing sie ein und übergab sie seinem Khan, der sie wortlos an sich nahm.
    »Die Kugel, er bringt mir tatsächlich nur die Kugel!« schrie Nazira wie jemand, der sich anschickt, verrückt zu werden. Auf ihrer Stirn war eine Ader blau hervorgetreten. »Und wo ist der Kopf dazu, der Kopf?«
    Sie hatte ja recht, so gehörte es sich nicht – sofern es sich bei der Kugel um eine Insigne der Macht handelte. Aber war sie nicht als ein Zeichen der Hoffnung gefordert worden? Was immer sie hätte sein sollen, in diesen wenigen Augenblicken verwandelte sie sich in das Zeichen endgültiger Hoffnungslosigkeit. Nazira verhielt sich genauso, wie man es seit dem Gespräch in Toktamischs Zelt hatte erwarten müssen. Timur hatte es ein Jahr lang gewußt, und ein Jahr lang hatte er versucht, sich einzureden, daß er es
nicht
wußte. Nun war es heraus. Eine Korankugel war ihr, der Ungläubigen, vollkommen gleichgültig ohne das dazugehörige Haupt – nie und nimmer hätte Timur für sie in den Krieg ziehen dürfen! Um seine Schmerzen mit anderen Schmerzen zu bekämpfen, fehlte ein Rosenstrauch. Erst als er seine Diener herbeiwinkte, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein, bemerkte er, daß er den Schmerz in seiner Rechten zusammengeballt hatte – in seiner Faust die Reste der Marmorkugel, zu Staub zerdrückt. In seiner Rechten, Ali, der gelähmten Hand!
    Vor den Augen der Höflinge hatte sich das Drama seines Lebens abgespielt. Sogar die Diener waren Zeuge geworden, wie ihn eine Sklavin, das heimtückische Geschenk seines Todfeinds, abgewiesen hatte. Nach wie vor krümmte sie sich auf dem Teppich, von irrem Gelächter und Heulkrämpfen geschüttelt. Seine für jeden sichtbar gewordene Schande als Mann. Es blieb bloß, sie zu töten. Sofort. Man durfte gar nicht erst zur Besinnung kommen. Mochte das Fest draußen vor den Toren der Stadt währen, in den Mauern derselben gab Timur mit gewohnt scharfer Stimme Befehle.

    Einen scharfen Ritt später war er am Registan, dem
Sandigen Platz
, auf dem ein immerwährender Markt, unterbrochen nur durch allfällige Hinrichtungen, stattfand. Vor sich, quer übern Rist seines Rosses gelegt, Nazira. Neben sich, ebenfalls zu Pferde, eine Handvoll der engsten Getreuen. Am Rande der Verkaufsstände kam der Trupp zum Stillstand, etwa dort, wo die hohen Stangen ragten, auf denen ansonsten Köpfe gezeigt wurden. Von dem schönen Platz, wie du ihn kennst, war damals noch nichts zu ahnen, von den drei Medressen, die heute dort stehen, war noch keine einzige gebaut. Stattdessen stand dort damals die Freitagsmoschee.
    Jeder, der auf sich hielt, feierte vor den Toren der Stadt, auch die meisten Händler. Geschlossen fast alle Garküchen, die Buden der Barbiere, kein einziger Märchenerzähler, Wahrsager, Taschenspieler zu sehen, nicht mal ein Bettler. Nur verstreut ein paar Sklaven, die für ihre Herrschaften Besorgungen machten und zunächst nicht sonderlich Notiz von den heranpreschenden Reitern nahmen, von der Frau, wie sie von einem der Pferde geworfen wurde, sich aufrappelte, den ersten Peitschenhieb erhielt, stürzte. Es dauerte eine Weile, bis sich in der Leere des Bazars herumgesprochen hatte, wer da so ganz ohne Standartenträger oder sonstige Hoheitsabzeichen erschienen und derart in Rage war.
    Ein letzter Blick aus blauen Augen, Timur schlug den Blick nicht zu Boden. Auf immer hatte er Toktamisch verloren, nun mußte er auch

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