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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Kopf werde ich nach Hause mitnehmen und öffentlich am Schandpfahl ausstellen.«
    Timur vollführte die Rochade und sagte lediglich:
    »Morgen, wenn dein Fleisch noch zuckt, werde ich dir die Kugel vom Hals reißen.«
    Die Marmorkugel. Sofern Mongolen davon erzählen, wollen sie ihre Zuhörer glauben machen, sie sei schon vor der Schlacht zerstört worden und eine Handvoll Staub im Wind. Dabei trug sie Toktamisch offen über seinem goldenen Wams, ein Protz- und Prunkstück, unübersehbar. Weit größer war sie als eine Weintraube, auch der Form nach eher wie ein Ei, so hing sie ihm an einem Seidenband um den Hals. Vom Weiß des Marmors fast nichts zu sehen, derart dicht war sie in winziger arabischer Schrift beschrieben. Sowie ihm der begehrliche Blick seines Gastes auffiel, strich Toktamisch voll Stolz darüber hin, streichelte sie mit ekelhafter Zärtlichkeit. Er habe sie Naziras Vater abgenommen, nachdem er ihn getötet, anders hätte der die Kugel nie herausgegeben. Der ganze Koran auf ihrer Oberfläche, die ganze Macht des Glaubens geballt in ihrem Inneren, das mache ihren Träger unbesiegbar. Morgen werde er sie in Timurs Blut baden.
    Der Gast durfte die Kugel in seiner Hand wiegen. Sie war überraschend schwer. Toktamisch ließ Vergrößerungsgläser aus Bergkristall bringen und belustigte sich daran, wie Timur den rechten Abstand zwischen sich und das Glas zu bringen suchte. Jedermann wußte, daß er nicht lesen konnte. Daß er kein Arabisch verstand. Daß er ein Barbar war. Es war so simpel, ihn zu beleidigen, sein Ziehsohn schmähte ihn mit Inbrunst, während er die nächsten Züge setzte, verspottete ihn und seine Sippe, sein Volk, sein Reich, redete sich blutrünstig, wie es sich gehörte:
    Die kostbare Kugel, Zeichen seiner Erwähltheit, besitze er bereits. Morgen abend werde er auch Dschingis Khans Wolfszahn sein eigen nennen. Mit ebenjener Hand, die gerade einen Turm gesetzt, werde er Timur töten und ihm den Zahn vom Hals reißen.
    Er hatte ihn Sitora versprochen. Einer seiner engsten Vertrauten war ihr heimlich gefolgt, als sie zu einem Erdloch gegangen. Hatte vernommen, wie sie ein Geheimnis hineingeschrien, das keinen Platz mehr auf ihrer Zunge gefunden – sie klagte um ihren erschlagenen Mann, den afghanischen Fürsten, noch immer. Bevor er in den Krieg zog, hatte Toktamisch sie in ebenjenes Loch werfen lassen, damit sie nicht auf Gedanken kam. Oder auf Abwege, die ihr ein Hofstaat während der Abwesenheit des Herrschers nahelegen mochte.
    Der Herr der Glückskonjunktion verzog keine Miene und öffnete sein Seidengewand, damit Toktamisch sehen konnte, wie überaus nackt sein Hals war: von keinem Schmuckstück geziert, das Begehrlichkeiten wecken konnte. Als er das Erstaunen im Gesicht seines Gegners sah, lachte er bös auf; als sich das Erstaunen in Entsetzen wandelte, schwoll sein Gelächter derart an, daß die Zeltwache eintrat, um nachzusehen, ob alles seine Ordnung hatte. Timurs Gelächter, grausam klar und hart, dagegen half keine weitere Schmähung. Toktamisch war sichtlich aus der Bahn geworfen:
    Seine Leute hätten ihm berichtet, Timur trage ihn Tag und Nacht, den Zahn. Ein Amulett höchster Wirkmächtigkeit, und nun verzichte er ausgerechnet im Kampf darauf?
    Daß Timur den Zahn bloß für die Dauer des Besuchs abgelegt haben könnte, darauf wäre er nicht im Traum gekommen. Ein Mongole hielt sich an das Gesetz der Steppe, er durfte seinen Gegner mit jeglicher Heimtücke und Gerissenheit verwirren, die Zeichen seiner Macht würde er niemals ablegen. Nachdem ihm Timur in knappen Worten berichtet hatte, wie gründlich er den Wolfszahn zerstört, flüsterte Toktamisch fassungslos:
    »Aber wofür soll ich dann morgen kämpfen?«
    Eine Frage, die man mit dem Schwarz der Pupille auf das Weiß des Auges hätte schreiben müssen. Timur zuckte mit den Schultern,
er
wußte, wofür er kämpfen würde. In der Nacht begriff er vollends, welch Geschenk ihm sein Ziehsohn seinerzeit gemacht. Er hatte ihm Nazira gesandt, um ihn ganz gezielt in diesen Krieg zu locken. Es wurde Zeit, daß er für all seine Missetaten – und für ebenjene ganz besonders – bestraft wurde.
    In der Frühe des Tages, die die Stunde des Gelingens bringt, schlug Timur den Koran auf und suchte einen Wink des Schicksals in der Sure, auf die sein Auge fiel. Jetzt oder nie. Nachdem er die Schlachtordnung abgeritten, stieg er, wie vor jedem Waffengang, vom Pferd und hielt innig Zwiesprache mit der Welt der geheimen und verborgenen

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