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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Familienmitglieder, verdiente Feldherrn, Weggefährten, Derwische darum, ihr Grab in der Nähe von Timurs künftiger Ruhestätte errichten zu dürfen. Der Große Wolf unter den Glaubenskriegern, die Faust Gottes auf Erden, längst galt er als unbesiegbar und von Gott erwählt; die Aussicht, dereinst in seiner Nähe bestattet zu werden, war höchste Auszeichnung und zugleich Gewißheit, sich selbst im Jenseits weiterhin bei den Siegreichen zu wissen. Je mehr Timurs Ruhm in den Folgejahren anwuchs – du weißt, schon im Sommer 1398 rief er wieder zu den Waffen –, desto mehr Gräber wurden es, die ums Zentrum herum angelegt wurden. Eine regelrechte Totenstadt, gut versteckt im Gebirg, dennoch von Samarkand aus schnell zu erreichen, sofern man den Weg kannte. Bewacht wurde die Anlage längst von Timurs
Dunklen Wächtern
. Und weil dort oben, am
Leeren Berg
, ja nicht nur heimlich bestattet und die Totenwache abgehalten werden mußte, sondern auch immer weiter gebaut und, trotz aller Geheimhaltung, eine wachsende Pilgerschar beherbergt, die von der Wirkmächtigkeit des Ortes angezogen wurde, entstand eine kleine Ansiedlung rund um die Totenstadt, manche behaupten sogar: eine richtige Stadt.
    Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Als Timurs Weltreich unter seinen Erben zerbrach, verfielen Stadt und Totenstadt am
Leeren Berg.
Die Soldaten der Ehrenwache verdingten sich andernorts, die Gräber wurden geplündert, die schwarzen Felsen abtransportiert und für neue Bauwerke verwandt. Aber sie bringen kein Glück, die Felsen. Und ebensowenig kommt es im Berg zur Ruhe, seitdem der tote Timur aus Gur-Emir überführt worden, wo er nach seiner Bestattung so lange getobt und gegrollt hatte, bis er in unmittelbarer Nachbarschaft von Nazira die ewige Unruhe fand. Natürlich geschah das gleichfalls unter strengster Geheimhaltung, wie überhaupt die ganze unrühmliche Geschichte aus den offiziellen Chroniken verbannt wurde. Mittlerweile jedoch wußten die Bürger von Samarkand Bescheid – nicht nur sie! – und schwiegen dazu. Schwiegen wohlweislich zu allem weiteren, was um Timurs willen geschehen mochte; zu schmerzhaft war die Erinnerung an ihn. Nun kennst die Wahrheit auch du und weißt, daß dort, wo die Gräber sind, ein Wallfahrtsort der Liebe sein müßte, keiner des Krieges. Naziras Klagen sind verstummt; aber noch heute kannst du Timur hören, wenn du dein Ohr an den Berg legst, noch immer kann er nicht zur Ruhe kommen, der Große Wolf. Wenigstens in Gur-Emir ist sein Zorn seither nicht mehr zu vernehmen, in Samarkand hat man Ruhe vor ihm.
    Neun Jahre waren ihm nach der Hinrichtung Naziras übrigens noch gegeben, bis er dem Rufer der Todesfrist antworten mußte. Doch so, wie sich Toktamisch den Rest seines Lebens mühte, die Herrschaft der Goldenen Horde wieder an sich zu reißen, von einer Niederlage zur nächsten hetzend, bis ihm der Stern des Mißlingens genug geleuchtet und ihm ein Meuchelmörder das Messer ins Herz gestoßen hatte, so mühte sich auch Timur, von Sieg zu Sieg eilend, am Ende vergeblich. Er zermalmte Völker und Königreiche, aber seine rechte Hand wurde so schwach, sie hätte nicht einmal mehr eine Rosenblüte zerdrücken können. Es wird erzählt, daß er, heftig fiebernd bereits auf dem Totenbett liegend, jedem die Frage stellte, die einst sein verehrter Urahn an die Gefährten gerichtet:
    »Worin liegt das Glück des Mannes?«
    Die Künstler, Gelehrten und Heiligen, die Timur aus all den eroberten Städten herausgeholt und nach Samarkand geschickt hatte, bevor er die restliche Bevölkerung zur Abschlachtung freigab, sie erwiderten jeder auf seine Weise. Dann gab ihnen Timur die Antwort, die Dschingis Khan auf die Frage gegeben:
    »Das wahre Leben des Mannes ist, über die Feinde herzufallen, sie mit der Wurzel auszureißen, die Augen ihrer Geliebten zum Weinen zu bringen, auf den ihnen geraubten fetten Hengsten mit goldenen Sätteln zu reiten, den Bauch ihrer Weiber zum Schlummerkissen zu nehmen!«
    Timurs Gelächter, sowie er in die Mienen seiner Zuhörer sah, es muß grausam klar und kalt gewesen sein. Als sich die Mischung seiner Körpersäfte endgültig dem Bitteren zuneigte, der 18 . Februar 1405 , wollte’s ihm scheinen, er habe sein Leben lediglich geträumt. Wenige Jahre nach seinem Tod war alles Dunst und Staub, was er je erobert. Und auch diese Geschichte ist vorbei, vielleicht war’s nur ein Traum. Bald sind wir gleichfalls wie eine Wolke aufgestiegen und im Wind vergangen.

    Nazardod

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