Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
könne in der Stadt den einen oder anderen geben, der ähnliche Interessen verfolgte, kam er bald. Weswegen sonst wären die, die aus einem der westlichen Länder zu stammen schienen, überhaupt angereist? Um dubiose Geschäfte zu machen, obwohl man das in der Schweiz oder der Freien Kretischen Republik ganz bequem vor der eigenen Haustür machen konnte? Um Urlaub vom Krieg zu nehmen, wo sich die Demarkationslinien zu Hause tagtäglich verschoben und man die eigene Wohnung am besten gar nicht mehr verließ? Unter denjenigen, die tatsächlich gekommen waren, um Protz- und Prunkzeugnisse früherer Jahrhunderte zu bestaunen – aufgrund ihrer schieren Menge wurde sich Kaufner erst wieder bewußt, daß der Krieg noch längst nicht sämtliche Winkel der Welt erreicht hatte –, stachen sie auf den ersten Blick hervor: Sie strichen so beiläufig an allen Sehenswürdigkeiten vorbei, wie’s Touristen niemals getan hätten. Möglicherweise hatten sie sogar denselben Auftrag wie er; aber so, wie die Freien Festen trotz ihrer isolierten Lage in der russisch besetzten Zone kaum zu einer dauerhaften Allianz zueinanderfanden, wichen sich hier auch deren Vertreter aus (oder in wessen Auftrag sie unterwegs waren). Falls Kaufner doch einmal einem den Weg vertreten konnte, tat der so, als verstünde er nicht, und verabschiedete sich bei erstbester Gelegenheit. Als ob jeder jedem mißtraute und lieber auf eigene Rechnung arbeitete – wie man es ja auch Kaufner eingeschärft hatte.
Ob sie ihn, so mußte er sich rückblickend fragen, ob sie ihn, den Neuankömmling, überhaupt ernst genommen hatten? Oder gleich als einen abgetan hatten, der das Mal noch nicht trug und also harmlos und nicht weiter zu beachten war?
Hab’ ich mich damals schon verraten? schreckte Kaufner hoch, lauschte in die Nacht hinaus, aufs Rauschen der Berge, das er inzwischen so gut kannte. Nein, das hatte er nicht, wem gegenüber hätte er sich überhaupt verraten können? Im Gegenteil, sogar die Vertreter des usbekischen Geheimdiensts, die in groben Bauernsakkos um die Sehenswürdigkeiten herumlungerten, hatte er sofort erkannt. Gegen die Spitzel der Stasi waren sie regelrechte Tölpel; sobald man sich in den Nebenstraßen verlor, hatte man sie abgeschüttelt.
Und sonst? Sher hatte grundsätzlich kein Interesse an seinen Gästen. Wenn Kaufner wegen irgendwelcher Angelegenheiten in seinem Büro vorbeischaute, war er entweder am Telephonieren oder im Internet. Manchmal winkte er Kaufner auf einen Wodka herein, um ihm seine Sorgen der Kinder wegen auszubreiten, um ihm seine neueste Pornokrawatte zu zeigen oder, sorgenlustvoll den Kopf dazu wiegend, einen
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-Film, in dem die Russen ein kurdisches Bergnest stürmten, sich vielleicht aber auch ein Scharmützel mit US -Streitkräften in Alaska lieferten. Außer Explosionen war auf den Amateurvideos kaum etwas zu erkennen.
Mit der Clique um Shochis Bruder hatte Kaufner ebensowenig zu tun, mit Firdavs, dem Doira-Trommler in Adidas-Dreiviertelhosen, oder mit Dilshod, der einen Stalin-Ring trug und der Älteste, Lauteste und Unsympathischste von ihnen allen war. Nicht mal mit Jonibek selbst, von dem sein Vater anhaltend argwöhnte, er werde nie ein richtiger Mann, selbst wenn er sich neuerdings einen penibel ausrasierten Millimeterbart stehen ließ: zwei Zierleisten, die als parallele Linien von den Koteletten herab ums Kinn liefen. Tagsüber, sofern sie nicht schliefen, schraubten sie vor dem Haupttor des
Atlas
an ihren Autos herum, bauten Baßlautsprecher in den Kofferraum ein und blaue Lampen unter die Vordersitze. Abends hetzten sie ihre Hunde aufeinander oder spielten Überlebenstraining mit Jonibeks Welpen, indem sie ihn unter großem Palaver minutenlang in einen Eimer Wasser tauchten. Danach kroch der Welpe mit letzter Kraft ein paar Meter davon, blieb hechelnd liegen, bis Shochi aus ihrem Zimmer gerannt kam und ihn unter Spott und Gelächter davontrug.
Nein, mit den Jungs hatte sich Kaufner nie gemein gemacht. Manchmal beobachtete er sie von seinem Balkon aus; wenn sie ihm zuprosteten, sah man die kyrillischen Schriftzeichen auf ihren Unterarmen. Ohnehin verging kaum ein Abend, in dessen Verlauf nicht irgendwer ein neues Tattoo vorzeigte; Dilshod hatte sich sogar einen Strichcode in den Nacken tätowieren lassen. Die dicksten Goldketten trug er sowieso, fuhr das dickste Auto; von Shochi wußte Kaufner, daß seine Familie Verbindungen zu den Schmugglern im Turkestangebirge hatte.
Von Shochi wußte er auch
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