Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
könnt?«
Anscheinend glaubte es zumindest die Regierung. Sher empfahl dringend, sich auf diskrete Weise damit abzufinden; wer sich mit einem anderen Stadtplan als den üblicherweise erhältlichen erwischen lasse, werde auf der Stelle verhaftet.
Ein unruhig flackernder Blick aus gelben Augen, ob Kaufner seine Andeutungen in all ihrer Konsequenz begriffen habe.
Landkarten seien gleichfalls gefälscht. Für den Fall der Fälle. Daß Kaufner auf seinen Gängen von Shochi begleitet wurde, sah Sher im übrigen nicht ungern: »Vielleicht kannst du dabei ein bißchen guten Einfluß auf sie nehmen?«
Kaufner versprach’s. Und ließ sich von Shochi zeigen, was es am Stadtrand und in den Vororten noch an Medressen und Mausoleen gab. Eigentlich drängte die Zeit, für den Westen wurde die Lage Tag für Tag nicht etwa besser. Dennoch durfte man nichts überstürzen, wer weiß, was in Samarkands Randbezirken an Verbotenem zu entdecken war. Auch dort wurden verstohlen Geldscheine auf Grabsteine gelegt oder Hammelknochen übers Feuer gehalten, bis sie barsten und man sich aus den Rissen und Sprüngen die Zukunft herauslesen lassen konnte. Vor allem wurde auch gepredigt, und je weiter man vom Stadtzentrum entfernt war, desto dreister: Das Ende aller Zeiten sei nahe, bald würden die Gottlosen bestraft in diesem gottlosen Land. Die Polizisten, die den Derwischen eine Weile zuhörten und sie schließlich vor aller Augen festnahmen und abführten, würden die ersten sein.
Wenn der friedliche Pilgertourismus dann in Radau umschlug, wurde jeder dieser öden Orte mit einem Mal wild und unberechenbar. Die Spur zur Spur! Ebendeshalb schieden sie für Kaufner aber am Ende wieder aus, auf lange Sicht hätte man hier nichts geheim und schon gar nicht unter Kontrolle halten können. Blieben als letztes die ganz normalen Heiligengräber, die von der Bevölkerung nicht sonderlich beachtet wurden; deren gab es in Samarkand eine Menge. Gleich am
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ging es damit los: Wenige Meter vom Haupttor die Gasse bergab und in der Querstraße über einige kreuzende Abwasserrinnen hinweg lag das Teehaus
Blaue Kuppeln.
Von blauen Kuppeln nichts zu sehen, Shochi
nannte
das Areal nur so, das nichts weiter als der Rest des alten Gusars war, des Zentrums ebenjenes Stadtbezirks. Gusar? Ein russisches oder gar deutsches Wort gab es dafür nicht; Shochi erklärte nicht erst lange, sie ging mit Kaufner hin.
Wie sogleich eine verhutzelte Wirtschafterin mit einer Thermoskanne Tee herbeischlappte, um sich zu ihnen zu setzen und nach dem Woher und Wohin des Fremden zu fragen, den sie öfters draußen gesehen hatte, wurde Kaufner schnell klar, was ein Gusar war: der traditionelle Mittelpunkt jedes Wohnviertels, eine Versammlungsstätte mit Moschee (abgerissen), Wasserbecken (verschwunden), Garten (verwahrlost) und Teehaus. Letzteres bestand aus einer mit Sperrmüllmobiliar vollgestopften Garage zuzüglich Ziertaube im Vogelbauer. Eine Art allerschäbigste Sozialstation, in der die Alten Wodka aus Teetassen tranken, und doch, und doch! in unmittelbarer Nachbarschaft eines Heiligengrabes.
Nun kam Kaufner systematisch in der Altstadt herum. Anfangs wunderte er sich, daß es selbst dort keinerlei orientalisches Treiben gab oder sonst Geschäftiges, wie er’s erwartet hatte. Das einzig Chaotische war das Kabelgewirr, das von den Strommasten zu den Häusern führte. Verkehr gab es in den engen Gassen so gut wie keinen; die wenigen Autos, die man sah, waren millimetergenau in irgendwelchen Nischen geparkt und wurden von ihren Besitzern gen Abend gewaschen. Niemand sprach Kaufner an, drängte sich auf, belästigte ihn – so hatte er’s in Hamburg seit Jahren nicht mehr erlebt.
Es dauerte eine Weile, bis er herausgebracht hatte, warum es in der ganzen Stadt derart höflich und gesittet zuging; und es waren die Alten in den Teehäusern der Gusare, die ihm die Augen öffneten. Wahrscheinlich waren sie die einzigen, die überhaupt noch ein offenes Wort riskierten. Wenn er die Vormittage bei ihnen verhockte – zunehmend entspannter, weil er merkte, daß er trotz aller Eile, die geboten war, mit Gewalt nicht vorankam (und die Welt dennoch nicht unterging) –, wenn er die Stunden bei ihnen vergrübelte, bis Shochi aus der Schule kommen und das Besichtigungsprogramm fortsetzen konnte, gerieten sie regelmäßig in erhitzte Wortwechsel: Früher, unter den Russen, sei alles besser gewesen. Und wäre es auch heute wieder. Natürlich nicht für die »Neuen Usbeken«,
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