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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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wie man sie abschätzig nannte, die sich im Verlauf der letzten Jahre mit dunklen Geschäften nach oben gebracht und mit ihrem Geld nun alles, aber auch wirklich alles in diesem Staat leisten dürften. Von wegen Gleichheit! Man lebe de facto in einer Diktatur der Reichen, höchste Zeit, daß die Russen wieder einmarschierten, wie letztes Jahr in Kirgistan, und für Gerechtigkeit sorgten. Von wegen Freiheit! Überall Polizei. Vorzugsweise in Zivil. Überall im Handumdrehen errichtete Betonmauern, selbst quer über Straßen gezogen, nicht selten über Nacht, ganze Stadtviertel abgerissen nach Belieben, andere komplett eingemauert und mit Stadtvierteltoren versehen, die man bei Bedarf schließen und die Bewohner abriegeln könne. Hauptsache Kontrolle. Für den Fall des Falles, wie es offiziell immer heiße. Ob Kaufner die Scharfschützen auf den Dächern entdeckt habe?
    Es braute sich also auch hier etwas zusammen. Nur noch eine Frage der Zeit, dann … Kaufner tappte gedankenverloren hinter einem der Russen her, die, verwahrloste Säufer, von der einstigen Besatzungsmacht im Lande hängengeblieben. In der Hamburger Schanze hatte er einmal, am hellen Vormittag, in einer Hofeinfahrt zwei junge Kerle gesehen, wie sie einem dritten das Messer an die Kehle gedrückt hielten. Die Hofeinfahrt war fünf, sechs Schritte breit gewesen, und Kaufner hatte sich, wie alle anderen, gehütet stehenzubleiben. Der Mann, dem es da an die Gurgel ging, flehte seine Mörder abwechselnd in gebrochenem Deutsch und fließendem Russisch an, offensichtlich war er nicht rechtzeitig vor Tagesanbruch zurückgekommen in den Ostteil, und jetzt hatten sie ihn in seinem Versteck aufgestöbert. Das war nicht sein Stadtteil, der Fall war klar, wahrscheinlich hatte er in der Nacht zuvor selber für Angst und Schrecken gesorgt. Nun bezahlte er dafür mit dem Leben. Niemand würde seinetwegen stehenbleiben, würde hinsehen, gar um Gnade für ihn bitten. Und schon kurze Zeit später, das Gesetz des Krieges, würde nichts mehr in der Hofeinfahrt auf ihn hinweisen, keiner würde davon reden, es würde gar nicht geschehen sein. So war es immer, so würde es auch in Samarkand bald sein. Bereits heute waren die Russen allenfalls noch Geduldete; übermorgen würden sie die Gejagten sein. Kaufner blieb stehen und sah dem Säufer eine Weile hinterher, wie er, laut mit den Entgegenkommenden schimpfend, die Straße entlangschlingerte.
    Seitdem ihm die Alten ihre Thermoskannen geöffnet hatten, lief Kaufner mit anderen Augen durch die Stadt, sah mit anderen Augen auf ihre Menschen. Aus den Hoftüren heraus betrieben einige heimlich einen Wodka-Ausschank für die Arbeitslosen. Andere beharkten ein kleines Gemüsefeld rund um ein Denkmal. Brotverkäuferinnen saßen an den immergleichen Stellen, die meisten bis auf einen Augenschlitz gegen die Sonne geschützt. Mittags plötzlich die Verkäufer der kleinen Teigtaschen, Somsa, die man mit Ketchup oder Essig direkt vor Ort verzehrte. Am lautesten waren bei alldem die Vögel, dann die Kinder (aber nur, wenn sie Alarmanlagen der parkenden Autos auslösten), dann schon die Wolken.
    Nichtdestoweniger machte Kaufner seine ersten Bekanntschaften. Lutfi, der Barbier mit dem hängenden Augenlid, der für Kaufner immer eine frische Klinge zerbrach und die eine der beiden Hälften einspannte. Während man unglaubliche fünf Mal rasiert wurde, konnte man Musikvideos mit Reitern sehen, die durch die Steppe galoppierten. Dazwischen Bilder der frankoalgerischen Freischärler, die mit den Generälen des Kalifen Hände schüttelten, anscheinend hatten sich ihre Verbände der
Faust Gottes
angeschlossen. Lyon gefallen, Dijon gefallen, Reims gefallen. Die Schweiz pochte lautstark auf ihre Neutralität. Lutfi rasierte schweigend.
    Shodeboy, der Schaschlikbrater, den es vom Aydarsee hierher verschlagen hatte, er fragte sowieso nur, welchen Spieß man wünsche, schwieg ansonsten qua Naturell. Aber auch seine Gäste, auf einer Betonfläche mit Weinrebendach gruppiert und von kleinen Jungs bedient, die zwischen dem offen lodernden Grill und den Tischen hin- und herrannten, auch seine Gäste, fast ausschließlich Männer, unterhielten sich so leise wie – ja genau, wie früher, in Kaufners Jugend. Und sie wurden leiser, wenn er in ihrer Nähe Platz nahm.
    Vierfinger-Shamsi, der in seinem Innenhof eine regelrechte kleine Landwirtschaft betrieb. Acht seiner neun Kühe hatte er unlängst verkauft, um sich dafür ein Auto anzuschaffen. Auf seine

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