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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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auf Tadschikisch (oder Usbekisch?) hieß es »Hazor Espand«, doch auf Deutsch? Es helfe gegen den bösen Blick und Unbill aller Art, auch die Heiler würden es benützen, zum Krankheiten- und Sachen-Wegzaubern.
    »Sag mal, ich denke, ihr seid Moslems?«
    Shochi allerdings wollte weiter, wollte Kaufner noch die Stare zeigen, die in riesigen Schwärmen heute aus Indien zurückgekehrt waren. Schon auf dem Hinweg hatte sie ihre weitläufigen Flugmanöver über der Taschkentstraße bewundert. Auch jetzt noch, die Dämmerung setzte bereits ein, boten sie ihre Formationsflüge dar: Tausende, Abertausende an Vögeln, in verschiedenen Schwärmen geometrische Figuren auf den Abendhimmel zeichnend, Spiralen, Ellipsen, explodierende Wolken. Wenn sie dabei plötzlich im Tiefflug auf die Betrachter am Boden zurasten, war es so beängstigend schnell und perfekt wie der Angriff einer Flugzeugstaffel in einer Computersimulation. Und indem sie erneut stand und staunte, in unbeschwerter Bewunderung zeigte und benannte, was Kaufner zu übersehen drohte, verwandelte sich Shochi zurück in das Kind, das sie ja vor allem und immer noch war.
    Nun werde es bald Sommer, freute sie sich.
    Irgendwas läuft in diesem Land ab, dachte Kaufner, irgendwas, das ganz und gar nicht ins offizielle Programm paßt. Und zwar an den Gräbern. Beileibe nicht an jedem. Am allerwenigsten dort, wo sie für Touristen und Pilger frisch renoviert waren. Aber eben auch nicht nur an demjenigen Timurs. Nach allem, was er heute erlebt, mußte er sich eingestehen, daß der Auftrag der Freien Feste nicht mehr so verrückt klang wie damals in Hamburg. Überall dort, wo man sich um Heilige scharte, ob lebende, ob tote, wo man verbotenerweise opferte, dankte, den Predigten lauschte und auf Wunder wartete, also überall dort, wo es endlich einmal interessant wurde, schritt die Staatsmacht ein. Vielleicht mußte man, um voranzukommen, fürs erste ein Grab finden, an dem sich der Kult ungestört entfalten konnte?
    Noch Tage waren die Baumkronen erfüllt vom Gezwitscher indischer Stare; all die Schüler in ihren schwarzen Schuluniformen, die ihre Schleudern mit den Früchten der Maulbeerbäume bestückten, sie konnten gar nicht danebenschießen. Als ob sie schon mal für den Tag übten, da die Zeit der Heckenschützen auch hier anbrechen würde.

    Konkrete Anhaltspunkte oder gar eine Spur, die zu Timurs tatsächlichem Grab führte, hatte Kaufner in diesen Tagen zwar keine gefunden. Klargeworden war immerhin, daß die berühmten Mausoleen allesamt ausschieden; mit Ausnahme des Heiligengrabs am Hintereingang von Shah-i Sinda waren sie zu bloßen Sehenswürdigkeiten verkommen. Wenn es nach Kaufner gegangen wäre, hätte er hiermit die gesamte Stadt abgehakt. Es ging aber nach Shochi. Sie hatte längst begriffen, wofür er sich bei seinen Erkundungsgängen interessierte, und an Begräbnisstätten wußte sie reichlich, von denen in Kaufners Unterlagen keine Rede war. Im Stadtplan waren sie sowieso nicht eingezeichnet.
    Überhaupt der Stadtplan. Kaufner stellte immer öfter fest, daß er nicht stimmte, ja, daß man damit regelrecht in die Irre lief. Die Proportionen waren verzerrt, zahlreiche Straßen gar nicht eingezeichnet, die Namen zum Teil noch aus der russischen Besatzungszeit, das Gassengewirr in der Altstadt gar nicht erfaßt. Ein besserer Plan war nirgends zu erhalten. Und
Google Maps
zeigte zwar eine chaotisch von Hausdächern wimmelnde Satellitenansicht; rief man die Kartenansicht auf, bekam man aber bloß die großen Durchgangsstraßen angezeigt und ansonsten viel weiße Fläche. Selbst das GPS -Gerät funktionierte aus irgendwelchen Gründen nicht. Als sich Kaufner eines Abends darüber bei Sher beschwerte, ließ der auf der Stelle seine sämtlichen Handys und Bildschirme im Stich, um ihm schwer und bedeutend die Hand auf die Schulter zu legen:
    »Verboten! Alles Spione, Achtung!«
    Das war sein Standardkommentar, viel mehr deutsche Wörter wußte er ja nicht. An der Art seines Lachens merkte man allerdings, wie ernst es ihm war. Kaufner habe doch Shochi, an die könne er sich halten, die kenne sich aus. Leider selbst dort, wo ein ordentliches Mädchen gar nicht hingehöre. Aus so einer werde nie eine anständige Schwiegertochter.
    Und warum verboten?
    Weil Usbekistan ein kleines Land sei. Und nicht nur von Freunden umgeben. Für den Fall der Fälle.
    »Glaubt ihr wirklich, daß ihr eure Feinde heutzutage noch mit falschen Stadtplänen in die Irre leiten

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