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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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griff nach Kaufners Hand, »Das ist heut kein guter Ort für dich«, wollte ihn aus dem Gewühl herausziehen. Kaufner hielt indes so lange dagegen, bis sie eine Antwort gab: Zum Beispiel dürfe man nur freitags zum Beten gehen, die meisten Moscheen habe die Regierung sowieso ganz geschl… »Komm jetzt endlich!«
    Usbekistan sei nun mal kein Gottesstaat, mischte sich einer der Umstehenden in ihr Gespräch ein: Und wolle’s auch nicht werden.
    »Wir sind ein gottloses Land!« drang sogleich ein zweiter, offensichtlich entgegengesetzter Meinung, auf Kaufner ein: »Aber Gott ist nicht tot!« Er habe seine Sendboten geschickt, bald werde er selber zurückkehren auf die Erde, das Schwert des Glaubens zu schwingen.
    Eine Schande sei es, schrie ein dritter los, eine Schande, wenn ein Imam nicht mal mehr so laut zum Gebet rufen dürfe, daß man ihn höre. »Wer kann da die Zeiten einhalten und die Scharia?«
    »Wer will denn die Scharia? Dann wohl auch gleich die
Faust Gottes
? Ja, herrscht hier demnächst wieder der Emir von Buchara?« wehrte sich der, der sich als erster an Kaufner gewandt hatte: »In unserem Land gilt immer noch die Verfassung!«
    Shochi konnte Kaufner mit knapper Not ins Heiligtum hineinziehen, bevor der Tumult richtig losbrach. Es dauerte eine Zeit, bis die Aufseher draußen die Ruhe wiederhergestellt hatten. Als Shochi schließlich befand, der Schutz des Heiligen sei nicht länger nötig, ergriff sie Kaufners Hand so fest, daß ihn niemand anzusprechen wagte. Im Gegenteil, sobald man ihrer ansichtig wurde, wich man stumm zurück. Erst als sie die Taschkentstraße erreicht hatten, gab sie seine Hand wieder frei.
    Die
Faust Gottes
sei natürlich ebenfalls verboten, erklärte sie ihm auf dem Heimweg. Bereits zum zweiten Mal hörte Kaufner diesen Namen; in den deutschen Medien war meist vom
Wahren Weg
die Rede gewesen, ab und an vom
Fundament,
der
Klaren Quelle.
Wie immer sie sich nennen mochten, es war kein Geheimnis, daß die Rechtgläubigen nachts in die Dörfer kamen, um Gotteskrieger anzuwerben. Ob der Bauer in Wirklichkeit –?
    Kaufner war derart in Gedanken versunken, er folgte Shochi, ohne weiter nachzufragen. Erst als er mit ihr mitten im Bazar stand, wurde er von den Vorbeidrängenden zurück in die Gegenwart geschoben, geschubst. Zwar war er bei seinen Erkundungen auch das eine oder andere Mal durch die Ladengassen gegangen; jetzt jedoch hätte ihn schon die Auswahl an verschiedenfarbigen Rosinen überfordert, die Auswahl an Nüssen und getrocknetem Obst. Shochi bahnte sich zielstrebig ihren Weg, man mußte sich nur dicht genug hinter ihr halten, um voranzukommen. Männer in dunklen Anzügen mit aufgeplatzten Nähten, abgerissenen Taschen. Frauen in grellbunt gestreiften Hängekleidern, dazu giftgrüne Plastikschlappen mit roten Socken, Kaufner kannte den Typus aus seiner Jugend. Frauen mit derart vielen Goldzähnen und einem Augenbrauenstrich, der in voller Breite über die Nasenwurzel führte, kannte er nicht. Frauen im eng geschnittnen weißen Gewand und mit weißem Kopftuch, aus dem große Ohrgehänge hervorblitzten, man sah, daß sie sich darunter das Haar hochgesteckt hatten. Frauen mit golddurchwirktem Kopftuch, im golden fließenden Gewand bis zum nackten Knöchel, auf halbhohen Pantoletten. Shochi mußte Kaufner mehrfach in die Seite stupsen, zeigte auf eine der Marktfrauen, die sich ihren Kopf bis auf den Augenschlitz mit weißem Tuch umwickelt hatte:
    Ob er ihr endlich glaube?
    Wieso glauben? Ach so, Shochis Tick mit den Tüchern, sie war damit offensichtlich nicht allein. Zu ebenjener Marktfrau wollte sie. Die Frau saß auf dem Boden, war damit beschäftigt, Geld zu zählen, die abgezählten Scheine warf sie in einen Plastikeimer. Neben der Auslage, die sie vor sich ausgebreitet hatte, lagen ihre beiden Unterschenkelprothesen: Plastikhalbschuhe, -strümpfe, -hosenbeine bis zum Knie.
    Das war der Moment, da Shochi anfing, mit dem Finger auf gewisse Dinge zu deuten und dazu die usbekischen und tadschikischen Wörter zu nennen. Nicht ohne sogleich das deutsche Äquivalent von Kaufner abzuverlangen. Also gut. Vor der Marktfrau lagen? Jede Menge Zähne. Wolfszähne? Wolfszähne. An blauweißen Kordeln aufgefädelt. Wolfszehen. Ganze Wolfspfoten. Wolfseife, ja? Im kleinen Tiegel, der dazwischenstand, das war? Tatsächlich Wolfsfett?
    »Gegen Erkältung, Ali. Aber nur, wenn man’s in Kreuzmustern aufträgt!«
    Das unscheinbar vertrocknete Krautbüschel, das Shochi schließlich kaufte –

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