Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
Vom Netzwerk:
russischrechtsradikaler Seite angezettelt und bald mit militärischer Konsequenz betrieben wurde, ausgerechnet Bundeskanzler Yalçin hielt es für seine staatsbürgerliche Pflicht, im Amt zu bleiben. Bald brannte es in allen größeren Städten, die ersten flohen in den Süden.
    Über die Rolle der Freien Festen erzählte Kaufner natürlich nichts, schon gar nicht, daß er ein Jahr als Kurier der Freien Feste Wandsbek gearbeitet, bevor er sich für Operation 911 hatte anwerben lassen. Jede Woche Propagandakundgebungen mit russischen Blondinen als Frontfrauen. Auf der Gegenseite vor allem eine kurdische Hip-Hopperin – auch Deutsche tanzten, wenn sie das Lied der Heimat rappte: Deutschland den Deutschländern! So simpel, das Ganze.
    Einer wie Kaufner, der sich keinem der beiden Lager anschließen wollte, war mit Einbruch der Dämmerung vogelfrei. Als Zuflucht blieben ihm bloß, diesseits wie jenseits der Alsterlinie, die Freien Festen. Jede hatte ihre eigene weltanschauliche Ausrichtung, das Spektrum reichte von den bio-rigorosen Keimzellen eines Vierten Reiches bis zu den letzten Bastionen der Ultralinken. Wo die Freie Feste Wandsbek einzureihen war, Kaufner hätte es nicht zu entscheiden gewußt; tatsächlich war er ja nur zu ihren Veranstaltungen gegangen, weil ihn Kathrin mitgenommen hatte. Im zweiten Jahr des Bürgerkriegs der Hilferuf der Bundesregierung an die UNO ; daß daraufhin die Freien Festen von den Blauhelmtruppen als »Germanic-German Homelands« unter Schutz gestellt wurden, versprach für eine Zeit sogar Hoffnung. Dann aber wurde die UNO in fast allen anderen europäischen Staaten gebraucht, die verbliebenen Kräfte konnten sich kaum selber schützen. Das spätestens mußte der Moment gewesen sein, da auch der Kalif von Bagdad die Lage erkannt hatte, seine Truppen in Marsch setzte und … Deshalb war Kaufner hier, eine andere Hoffnung gab es nicht mehr.
    »Ali, was ist los, wieso erzählst du nicht weiter?«
    Eines Abends war Kathrin nicht nach Hause gekommen. Sie hatte einen Passierschein besorgt und sich samt Tochter aufgemacht, ihre Freundin auf der anderen Seite der Alster zu besuchen, im mittlerweile fast vollständig russisch besetzten Wandsbek. Schon damals wurden die Sektoren mit Einbruch der Dunkelheit geschlossen; als Kaufner spätnachts noch einmal an der Kennedybrücke nach ihr fragte, konnte sich keiner der Wachhabenden an eine Frau mit einem kleinen Mädchen erinnern. Und hinüber auf die andere Seite, um dort nach ihr zu suchen, konnte er nicht. Es war in jener schrecklich langen Nacht, daß er sein normales Leben hinwarf und beschloß, Kuriergänger zu werden. Doch sooft er auch die Grenze in der geteilten Stadt überschritt, Kathrin war nicht aufzufinden, Loretta ebensowenig, keiner wollte sich an die beiden erinnern, auch die Freundin nicht, die sie hatten besuchen wollen. Anscheinend waren sie nie bei ihr angelangt.
    Natürlich gab es viele solcher Fälle, der Krieg verschluckte jeden, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. In jener Nacht jedoch war der Krieg bei Kaufner persönlich angekommen. Dabei war er noch gar nicht so lange mit Kathrin zusammengewesen, vor allem weil er Loretta nicht so schnell in seinem Leben hatte akzeptieren wollen. Jetzt, da sie gemeinsam mit ihrer Mutter wie vom Erdboden verschwunden war und blieb, vermißte er sie. Das Glück, das er in Hamburg gefunden, es hatte sich in ein Unglück verwandelt. Gern wäre er selber in diesem Krieg verschwunden. Daß rund um ihn ums Überleben gekämpft wurde, bekam er zwar mit, doch wie aus weiter Ferne, es betraf ihn nicht mehr.
    Er wachte erst wieder auf, als man ihn eines Tages in der Freien Feste ansprach. Man habe ihn eine Weile beobachtet. Und sei sehr zufrieden damit, wie er durch die Linien gehe, zwischen den Fronten wechsle, die Botschaften überbringe. Nun gebe es da eine Aufgabe, die etwas aufwendiger sei, eine besondere Aufgabe, die nicht von jedem angepackt werden könne. Kaufner, nun ja, scheine geeignet; ob er Lust habe, sich die Sache etwas genauer anzuhören?
    Wie ihn Shochi mit großen Augen anstarrte, merkte Kaufner, daß er sich die ganze Zeit zwar heftig erinnert, aber kein Wort mehr erzählt hatte. Zum Glück, das alles ging sie ja wirklich nichts an. Mochte sie ahnen, daß er hierhergekommen war, um zu verschwinden wie diejenigen, die er geliebt hatte, erzählen würde er’s ihr nicht. Über die wesentlichen Dinge wurde in dieser Stadt geschwiegen, auch er würde sich daran halten.
    Und

Weitere Kostenlose Bücher