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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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nun? War er wieder mit aller Entschiedenheit in der Gegenwart zurück. Doch wohin hatte ihn Shochi währenddem denn geführt? Kein Grab zu sehen. Sondern die Ödnis eines weiten Platzes mit einigen verlorenen Marktständen darauf, dahinter ein Bahnhofsgebäude, das ebenso marode wirkte wie alles, was er die letzten Tage zu Gesicht bekommen. Trostlos die Vororte allesamt, ob Usbeken, Kasachen, Russen oder Tataren darin hausten – höchste Zeit, sich davon zu verabschieden! Was am Stadtrand von Samarkand leuchtete, waren allein die Parolen, die der Präsident ausgegeben hatte, »Schöne Häuser sind der Schmuck jeder Straße«, »Gib dir Mühe für dein Mutterland!«, »Die Unabhängigkeit sei ewig!« – und was sonst noch auf Hauswänden und über Fabriktore geschrieben stand. Shochi verkündete schmollend, ihr Lieblingsviertel gar nicht erst zeigen zu wollen; Kaufner mochte gern darauf verzichten. Ein Grab, das Timur angemessen, würde in Samarkand sowieso keines zu finden sein.

    Wenn es nach Kaufner gegangen wäre, wäre er nun endgültig mit der Stadt fertig gewesen. Es ging aber nach Jonibek, der ihm sogleich zuprostete, als er ihn abends den Balkon betreten sah. Sogar aufstand, gestikulierte, ihm quer übern Hof zurief:
    »Yo, Opa. Kommen Sie mal runter?«
    »Bin ich dein Opa?«
    »Na gut, Onkel.« Sie hätten da was für ihn.
    Jonibek sprach nach wie vor Russisch mit ihm, er hatte nicht mitbekommen, daß Kaufner mittlerweile viel von dem aufschnappen konnte, was er mit seinen Freunden auf Tadschikisch besprach und belachte. Kaufner entschied sich dafür, erst einmal besonders ausführlich den Tauben zuzusehen, die ihre Abendrunden um die Kuppel von Gur-Emir flogen. In der Loggia wurde Jonibek dann ohne weitere Umstände deutlich:
    Offensichtlich verfolge der Onkel hier sehr spezielle Interessen. Das verbotene Grab habe er aber gewiß noch nicht gesehen. Um die Hand des Wächters zu schließen, brauche man natürlich ein paar Scheine.
    Verbotenes Grab? Das klang in der Tat so, als müsse sich Kaufner dafür interessieren. Für Jonibek selber und seine Kumpel sollte allerdings auch etwas dabei abfallen. Umso besser! Endlich mußte man schmieren, um voranzukommen, ein gutes Zeichen. Kaufner dachte an Hamburg, wo man laufend Straßensperren passieren und trotzdem an jeder zweiten Ecke irgendeinen selbsternannten Kontrolleur bezahlen mußte. Vor allem bei Einbruch der Dämmerung, wenn die letzten Schleusen zwischen den Sektoren geschlossen wurden, wenn dann bald nur mehr die Krugkoppelbrücke offen war, wo der Deutschenstrich stattfand: Durch das allerletzte Schlupfloch zwischen Ost und West noch auf die richtige Alsterseite zurück und rechtzeitig nach Hause zu gelangen kostete richtig Geld. Aber gut, indem man zahlte, kam man im entscheidenden Moment voran.
    Jonibek war jedoch gar nicht sonderlich erpicht darauf voranzukommen. Man habe Zeit, winkte er ab, der Onkel möge ein Bier mit ihnen trinken und Firdavs zuhören. Der trug heute ein »Cannabis«-T-Shirt, das Adidas-Logo sah mit diesem Schriftzug in der Tat wie die dazu passende Blüte aus. Mit seinen holzharten Händen trommelte er, ein Verrückter oder ein Heiliger, wechselte dabei von einer Doira-Trommel zur nächsten, bis sogar die Hunde Ruhe gaben. Wohingegen Dilshod nur dasaß und so ausgiebig lächelte, daß der Regen einsetzte, gleichmäßig herniederrauschte, wieder aufhörte.
    Sobald Firdavs eine kurze Pause machte, hörte man, wie es vom Aprikosenbaum heruntertropfte.
    »Keine Sorge, Onkel, wir haben Sie nicht vergessen.« Jonibek schob seinen spitzen weißen Schuh unter den Welpen und lupfte ihn wie einen Ball halbhoch gegen die Wand, wo er klaglos anprallte und wieder zu Boden ging: Vor elf laufe gar nichts, erst müsse der Wächter des Wächters seine Runde gemacht haben.
    Kaufner wollte etwas sagen, ließ sich dann aber doch eine weitere Bierflasche von Jonibek öffnen, mit den Zähnen. Und schließlich noch eine. Hätte er nicht gewußt, daß Shers Familie für den Westen arbeitete, er wäre spätestens in dieser Nacht sicher gewesen, sich an die Russen verraten zu haben.
    Gegen halb zwölf führte Jonibek ein allerletztes Telephonat, nickte Kaufner zu. Das Hoftor war bereits abgesperrt, sie verließen das
Atlas
durch den Hinterausgang. Kaufner trat mehrfach in Pfützen, so dunkel war es, sogar in eine der tief querenden Abwasserrinnen – ein scharfer Schmerz im rechten Knie –, dann standen sie am Gur-Emir. Jonibek, der in seinem Gebaren

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