Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)
ansonsten möglichst viele Versatzstücke dessen einbaute, was er sich aus Musikvideos und von Touristen als cool abgeschaut hatte, verwandelte sich innerhalb weniger Schritte in einen traditionsbewußten Tadschiken: Sowie er dem Wächter die Hand geschüttelt hatte, legte er die Rechte kurz auf sein Herz. Kaufner tat’s ihm nach. Doch ehe er mit dem Wächter das Feilschen hätte anfangen können – so hatte er’s sich während des Wartens in der Loggia vorgenommen –, setzte sich der in Bewegung, ging, sein Gewehr lose über die Schulter gehängt, zur Holztür auf der Rückseite des Mausoleums. Das ganze Areal war tiefblau angestrahlt und menschenleer. Rundum die Altstadt in völliger Lautlosigkeit.
Indem der Wärter das Holztor auf- und hinter der Gruppe sofort wieder zusperrte, fiel noch immer kein Wort. Ein gekachelter Gang, mannsbreit, führte abwärts, mündete in einen getünchten kleinen Raum, der von diversen Deckenlampen hell ausgeleuchtet wurde. Die Krypta. Eine Balustrade trennte die Besucher auch hier von den Grabsteinen, allerdings eine aus Holz gedrechselte. In einer Nische gab es eine Sitzbank; wenn man dort Platz nahm und das rechte Bein hochlegte, sah man? Im Grunde genau das Gleiche, was man im Hauptraum darüber sah: sieben verschieden große Sarkophage, in der bekannten Ordnung um den von Timur gruppiert, einen neunten etwas abseits in der gegenüberliegenden Nische. Das Gleiche, nur weit weniger prächtig. Selbst Timurs Sarkophag bestand bloß aus einem schwarzen Sockel, darauf einer weißen Marmorplatte, von Koraninschriften verziert.
Ehe sich Kaufner seiner Enttäuschung hingeben konnte, hob der Wärter an, Timur zu preisen und mit seinen Ehrennamen zu benennen: als den Herrn der Glückskonjunktion, den Großmächtigen Sultan, allergnädigsten Khan! Hier ruhe er, der große Krieger, jeder seiner usbekischen Enkel verehre ihn mit dankbarem Herzen …
Kaufner ließ den Singsang des Wärters über sich ergehen. Er wußte ja von seinem Führungsoffizier, daß der Sarg leer war. Auch dieser hier, gerade dieser hier. Er war gewissermaßen sogar noch leerer als der im Hauptraum darüber (der niemals etwas anderes umschlossen hatte als Luft und Legende). Obwohl das Gegenteil permanent beteuert und verbreitet wurde. Alles andere wäre in solch unübersichtlichen Zeiten einfach verrückt gewesen. Timurs Grab war ein Symbol für jeden, der an den Heiligen Krieg glaubte; gewöhnliche Pilger oder gar Touristen aus und ein gehen zu lassen wäre geradezu fahrlässig gewesen.
… jeder Rechtgläubige verehre ihn, rühmte der Wärter mit unverminderter Inbrunst: den Großen Wolf, den Blitz, das Eisen, die Faust Gottes! Durch ihn und keinen anderen habe der Eine seinen Willen gnädiglich kundgetan und die Menschen in einer einzigen Friedensgemeinschaft zusammengeführt, durch ihn allein! Es sei noch gar nicht so lange her, daß Khane und Emire vor ihren Feldzügen gekommen wären, Timurs Sarg zu berühren, damit die Kraft des Kriegers auf sie übergehe …
Wahrscheinlich hatte der Wärter getrunken. Und wahrscheinlich hätte er eine ganze Weile weitergeschwärmt, wenn es nicht plötzlich einen lauten Knall gegeben hätte. Schlagartig standen sie alle im Dunkeln.
Darauf war er allerdings vorbereitet, der Wärter, erst ließ er sein Feuerzeug aufflammen, dann eine Kerze. Wie verändert der Raum plötzlich war! Kaufner stand unwillkürlich auf, humpelte an die Balustrade heran. Man konnte sie wieder spüren, die Macht, die dem Sarkophag Timurs entströmte. Wiewohl er mittlerweile leer war, der Stein war von seiner Aura durchdrungen worden, er strahlte etwas Dunkles aus, das Kaufner jetzt augenblicklich in den Bann schlug. Es fehlte nicht viel und er hätte in den Lobpreis des Wärters eingestimmt.
Ob auch er das Grab berühren dürfe? fragte er, als er den Drang zu reden schier nicht mehr ertragen konnte: Er würde den Deckel nur kurz anheben, um nachzusehen, ob Timur wirklich …
Zum Glück brach er hier ab. Der Wärter hatte sich das Gewehr von der Schulter gerissen und rüttelte es demonstrativ humorlos über seinem Kopf; Jonibek, der die ganze Zeit auf sein Handy eingetippt, hob den Blick.
… ob Timur wirklich rote Haare gehabt hätte.
Entsetzt schüttelte der Wärter den Kopf:
Dies Grab berühren? Das Nationalheiligtum schlechthin? Ob sich ein Ungläubiger daran nicht die Finger verbrennen würde?
Kaufner biß sich auf die Zunge. Zog aus einem Reflex heraus – er hatte ihm in Hamburg aus
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