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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Flüchtlinge? Na gut! Anscheinend mußte Rußland beweisen, daß es Tadschikistan keineswegs besetzt, sondern lediglich aus einer vorübergehenden Bredouille geholfen hatte, jedenfalls sicherte es offene Grenzen zu. Es lief dann zwar bloß wieder auf Oybek hinaus, den kleinen Grenzübergang im Norden, der seit letztem Jahr immer mal wieder für ein paar Tage geöffnet wurde, aber immerhin. Wenn man dort ausreisen konnte, würde man auch einreisen können. Und vom Norden in den Turkestanrücken gelangen.
    Weil Jonibek seit Kaufners Verhaftung und Verhör nicht mehr chauffieren durfte – überdies lag Oybek nicht gar so weit von Bekobod entfernt, in die Gegend hätte ihn Maysara niemals gelassen –, suchte Kaufner nach dem ehemaligen KGB -General. Der brauchte dann zwar ein paar Tage, um einen passenden Wagen zu organisieren, dafür wußte er mit Sicherheit, daß die Chinesen in Tadschikistan einen Tunnel durch den Turkestanrücken getrieben hatten, der mittlerweile offen für den Verkehr sei, seitdem komme man von Norden ganz einfach ins Serafschantal. Kaufner packte erneut seinen Rucksack. Ließ sich bei Lutfi in einem spontanen Entschluß den Schädel scheren, an einem Schopf sollte ihn keiner mehr zu packen kriegen. Kaufte auf dem Bazar eine Usbekenkappe (Sommerware: grau mit Belüftungslöchern), wie sie jeder hier trug, sofern er sich nicht an Rußland oder am Westen orientierte. Setzte sie auf und …
    Und dann kam doch erst noch der lang angekündigte Staatsbesuch. Alle Ausfallstraßen wurden gesperrt, und Kaufner verschenkte seine Kappe an Lutfis Sohn, der konnte sie sowieso besser gebrauchen.

    Als der Konvoi der schwarzen Limousinen in Samarkand einfuhr, waren sämtliche Verschönerungsmaßnahmen abgeschlossen, die Springbrunnen angestellt, selbst die Wasserspiele auf dem ehemaligen Gelände der Wodkafabrik. Die ganze Stadt sah aus, als hätte sie sich für ein Friedensfest in bunten Farben geschmückt. Abgesehen von den Straßensperren, den Panzern, den aufmarschierten Infanterie- und Polizeiregimentern. Die Tore zu den Stadtvierteln waren ausnahmslos geschlossen worden, sogar eine Brücke hinterm Bazar hatte man noch kurzerhand abgerissen, damit man die Straße darunter besser sichern konnte. Ohnehin fuhr der Konvoi nur zwischen Betonwänden wie in einer langen Schleuse, die am blumengeschmückten Timur-Denkmal endete. Die Bevölkerung sah bis dahin nichts, die Besucher aus dem Ausland sahen ebensowenig, das Altstadtgewirr der Lehmziegelbauten war durch Sichtschutzwände und neue zweistöckige Häuserfassaden überall abgeschirmt worden.
    Umso mehr drängte man sich dort, wo’s noch keine Sichtschutzmauern gab oder wo sie genügend Raum ließen, um sich davorzustellen, auf dem Registan, dem Universitet Boulevard und, vor allem, dem Platz rund ums Gur-Emir – hier sollten die Reden gehalten werden. Mittendrin Kaufner, auch wenn er keiner der Schulklassen oder Betriebsabordnungen angehörte. Während man wartete, bis die Delegation aus Taschkent gelandet und vom Flughafen ins Zentrum eskortiert war, räucherten Zigeuner, darunter die eine oder andre Schönheit, die Zuschauer mit Steppenraute ein. Man konnte ihrem bösen Zauber nicht entgehen, so eng stand man zusammen.
    Eigentlich sah man alles erst anschließend im Fernsehen. Sah, wie der Präsident in kurzärmligem Hemd und Sakko, an dem die Ärmel abgeschnitten waren, Timurs Feldzeichen vor dem Gur-Emir aufstellte – Yakhörner an der Spitze, vier schwarze Roßschweife –, ans Mikrophon trat, kurz die bekannten Entschuldigungen für Bekobod wiederholte (»schreckliche Fehlinformation der Truppe«), um dann den Beginn einer neuen Zeit zu verkünden. Auch Tadschiken seien Usbeken! Hüben wie drüben! In der »großen usbekischen Völkerfamilie« sei jeder willkommen. Am liebsten hätte er sich als Urenkel Timurs präsentiert, so usbekisch gab er sich; wohlweislich verschwieg er auch heute, daß er einen tadschikischen Großvater hatte. Es wußte sowieso jeder. Dann sah man seinen dicht behaarten Arm, wie er sich zum historischen Händedruck streckte – mit einem Mullah! Nein, mit dem Ayatollah höchstselbst, in seinem Schlepptau der Staatspräsident. Es war eine Delegation aus der Islamischen Republik Iran, die man so lang erwartet hatte! Damit hatte niemand gerechnet, der Kalif wäre den meisten gegen Rußland lieber gewesen. Immerhin, über N - und ZZ -Bomben verfügten die Perser ebenfalls.
    Der Ayatollah, er sprach in Farsi, Tadschikisch und

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