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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Wohingegen ihr Bruder regelrecht Reißaus nahm, sobald sie sich der Loggia näherte – bloß keine weiteren Prophezeiungen! Im Moment war Shochi freilich das Gegenteil einer Rachegöttin; ganz Mädchen stand sie vor Kaufner und suchte nach dem rechten Wort:
    »Es war, es war«, flüsterte sie ihm schließlich ins Ohr, »es war so einer wie du.«
    Einer, der wie Kaufner eines Tages in der Stadt aufgetaucht sei. Einer, der die Gebirge durchstreift habe. Jeder im Viertel habe ihn gekannt, jeder. Mehr wisse sie nicht, wolle sie auch gar nicht wissen, es führe sowieso nur immer zu etwas Schrecklichem. Ob er wenigstens den Wolfszahn umgelegt habe?
    Kaufner zog ihn aus dem Halsausschnitt seines Hemdes und zeigte ihn. Shochi verschwendete keinen Blick darauf, sah ihn mit leeren blauen Augen an. Kaufner hielt ihren Blick aus. Und fühlte, wie ihm etwas in die Hand gedrückt wurde. Das rosa Taschentuch, komplett mit Goldbären bestickt.
    »Aber das ist doch für deinen –«
    Ach, das glaube Kaufner doch selber nicht. Shochis Hände kneteten ununterbrochen. »Wenn ich schon nicht mitkommen kann, um dich zu beschützen, dann muß ich wenigstens als Schutzengel dabei sein.« Solange Kaufner im
Atlas Guesthouse
gewohnt habe, hätte »das da« (sie meinte das Zauberensemble am Hoftor) alles Unheil abgewehrt, er habe es nicht mal gemerkt. Leider schütze der Zauber nur hier. Von der Straße hörte man es hupen. »Denk dran, Ali, du hast das böse Zeichen im Brot gehabt, du mußt vorsichtig sein!«
    Damit war alles gesagt, was es zu sagen gab. Shochi sagte nichts mehr. Kaufner sagte nichts mehr. Einen halben Tag später setzte ihn der ehemalige KGB -General in Oybek ab, knapp fünfzig Kilometer nördlich von Bekobod. Von den Maulbeerbäumen fielen die ersten weißen Früchte, die Schwalben zwitscherten. Am östlichen Ortsrand hatten mehreren Kampfkompanien Stellung Richtung Tadschikistan bezogen. Dazwischen ein Grüppchen Blauhelmsoldaten, rund um das kleine Grenzgebäude lagernd.
    Die usbekischen Grenzer taten so, als sähen sie Kaufner gar nicht, wie er mit seinem Rucksack durch das vollkommen leere Abfertigungsgebäude schritt. Sie pokerten, ein dicker Haufen Geldes lag in der Mitte des Tisches. Gleichzeitig mit Kaufner wollte nur eine einzige Familie nach drüben, Tadschiken aus einem ansonsten rein usbekischen Dorf, wie sie berichteten. Ihnen wurden die Pässe abgenommen, dafür allerhand Formulare zugeschoben, und weil die Grenzer ihr Kartenspiel jetzt tatsächlich unterbrachen und behaupteten, jede Frau dürfe lediglich ein einziges Schmuckstück tragen, wurden die kostbarsten Ringe und Ketten auf die Kinder verteilt, der Rest war verloren. Sobald man das Gebäude auf der anderen Seite verließ, kam schon das Niemandsland, eine Fahrspur zwischen hohen Maschendrahtzäunen, mehrfach von Stacheldraht gesichert. Nach etwa hundert Metern die Container der tadschikischen Grenzer. Kaufner atmete tief ein und sah auf die Berge, ein grüner Flaum zog sich die Hänge hoch. Wieder war es Anfang April. In diesem Sommer jedoch, da war er sicher, würde er finden, würde zerstören.

Drittes Buch Drüben
    Kaufner hatte sich bei den Schwarzgeldhändlern in Samarkand ein perfekt gefälschtes Visum für Tadschikistan besorgt; nun dösten nur ein paar Blauhelmsoldaten zwischen den Containern, die ihn unwillig weiterwinkten, sobald er seinen Paß vorzeigen wollte. Im vorletzten Container endlich ein tadschikischer Grenzer, er behielt Kaufners Papiere dann gleich ein, ehe er ihn verscheuchte.
    Visum? Tourist? Das gelte nicht mehr. Nun ja, man werde sehen.
    Hinterm letzten Container eine wogende Menge, ausschließlich Frauen mit Kopftuch, ein kreisrundes Loch in der Containerwand bedrängend. Einige hielten mit beiden Armen Babys in die Höhe; die Alten drängelten am rabiatesten, aufdringlich laut klopften sie mit Schlüsseln gegen die Scheibe im Loch, auch gegen die Blechwand, wetterten gegen- und miteinander.
    In einigem Abstand, rauchend, telephonierend, schwatzend, schweigend, die ersten Männer. Auf der Straße der zum Stillstand gekommene Flüchtlingstreck, eine endlose Schlange an Autos, Fuhrwerken, Packeseln, auf den Wiesen linksrechts davon großfamilienhaftes Gelage. Und in gewisser Distanz darum herum, eher dekorativ, Militärfahrzeuge, vielleicht die Russen.
    Während Kaufner auf die Bearbeitung seines Passes wartete, zog er das rosa Taschentuch hervor, betrachtete die aufgestickten Goldbären. Selbst Shochi hatte ihn also belogen.

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