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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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Nacken. Erst als er ihn mit Rasierwasser (
Carlo Bossi
) betätschelt und auch den Nacken ausrasiert, mit Rasierwasser abgelöscht hatte, fragte er Kaufner, was er wolle.
    Er sei ein Freund der Natur, ließ Kaufner, ohne zu zögern, wissen, und er wolle nach drüben, in die Berge, wandern. Turkıroj sei ihm empfohlen worden, weil man hier »einen kreativen Umgang mit russischen Zäunen pflege«, so jedenfalls die Auskünfte in Pendschikent.
    »Warum sollten wir jemandem helfen, der aus Pendschikent kommt?« mischte sich einer der Wartenden mit scharfer Stimme ein. Die Stimmung brodelte spürbar hoch, schließlich war man unter Usbeken.
    »Weil ich aus Samarkand komme«, erwiderte Kaufner.
    »Aus welchem Samarkand?« fragte einer.
    Auf alles hatte sich Kaufner vorbereitet, wenn er den Weg, den er vor sich hatte, in Gedanken durchging; auf diese Frage jedoch wäre er nicht im Traum gekommen, es fiel ihm auf die Schnelle nichts Besseres ein als: »Aus … Samarkand.«
    Ob das die richtige Antwort war? Die Männer palaverten wild durcheinander. Daß einer hierher kam, der offensichtlich nicht auf der Flucht war, erregte ihre Neugier, nach kurzer Beratung beschlossen sie, »der General« solle entscheiden.
    Erst als man ihm die Augen verband, begriff Kaufner, daß er ihr Gefangener war. An die zwanzig Minuten fuhr man ihn durch die Gegend, vielleicht auch im Kreis. Erst im Vorzimmer des Generals, in dem ein großer leerer Käfig stand, nahm man Kaufner die Augenbinde wieder ab.
    Der General saß barfuß an einem Tisch, über Papiere gebeugt, abwechselnd an einem Zigarillo ziehend und in eine Schokoladentafel beißend. Dann unter großem Gelächter telephonierend, nach der Art, wie er seine Sätze sang, mit einer Frau. Er trug eine Tarnanzugweste über dem nackten Oberkörper; die Haare hatte er zu parallel laufenden Zöpfen geflochten, die als vier schwarze Wülste vom Stirnansatz bis zum Hinterkopf liefen, von dort baumelten sie lose bis auf Schulterhöhe. Sein Tisch stand auf einem Teppich, dessen Muster vornehmlich aus Laptops und Handys bestand; darauf kauerte, an einem der vorderen Tischbeine angekettet, ein nackter Jüngling, bis auf die Knochen ausgezehrt. Ab und zu warf der General ein Stück Schokolade nach unten; sofern der Jüngling aber zu gierig loskroch und mit seiner Kette am Tisch ruckte, empfing er einen Tritt.
    Durch den hereingeführten Kaufner ließ sich der General davon keineswegs abbringen. Dessen Blick, zwischen Mitleid und Ekel changierend, bemerkte er hingegen sofort. Anstatt Kaufner nach dem üblichen Woher und Wohin zu befragen, fixierte er ihn eine Weile. Schließlich drückte er sein Zigarillo aus, erhob sich, ging auf Kaufner zu, stellte sich ein Stück zu nah vor ihm hin und setzte zu einer Erklärung an:
    Er sei Türke, ein großes Volk, seit Jahrhunderten auch am Serafschan zu Hause. Ein friedliebendes Volk. Aber die Dörfer, die Kaufner hier gesehen habe, lägen zurecht in Schutt und Asche. Eines Nachts seien die Tadschiken gekommen und hätten sie überfallen, hätten die Kinder enthauptet und Männer wie Frauen bei lebendigem Leibe ausgeweidet, gezweiteilt, gevierteilt. Ob sich Kaufner vorstellen könne, was es heiße, wenn der eigenen Mutter vor aller Augen die Goldzähne ausgeschlagen werden? Wenn der eigenen Frau, nachdem sie von allen reihum vergewaltigt, die Brüste abgeschnitten werden? Der Vater von »dem da« – der General wies auf den Angeketteten – habe auch seinen kleinen Bruder vergewaltigt; weil er sich jedoch rechtzeitig ans andere Ufer abgesetzt, habe man fürs erste nur seinen Sohn gefangennehmen können.
    »Und ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, die Scham der Geschändeten und ihre Schreie zu rächen. Bei dem da fange ich an, aber langsam, daß er etwas davon hat. Ich lache, wenn ich töte.«
    Nun erst reichte er Kaufner zur Begrüßung die Hand, allerdings nicht, um sie geschüttelt, sondern um sie dort geküßt zu bekommen, wo ihm ein dicker Ring am Finger saß. Die Hand sah so aus, als hätte sie ein Leben lang nur Geld, Lenkräder und Waffen berührt. Indem er sich beugte, preßte Kaufner Augen und Lippen zusammen. Den Geruch nach Tabak und Maschinenöl, der aus der Hand aufstieg, mußte er indessen einatmen. Der General grunzte auf, zog seine Hand zurück und hatte gute Laune. Er heiße Feisulla, bezog er wieder seinen Platz hinterm Tisch, womit er »seinem Freund Ali« dienen könne?
    Er war bereits im Bilde. Daß jemand auf die andere Seite

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