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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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sicherlich verlassen. Es roch nach Eisenkraut. Ab vier Uhr wurde es heller, und noch immer war Kaufner am Fuß des Gebirges unterwegs, inmitten brachliegender Äcker.
    Mehrmals querte der Pfad den Kanal, bald ging man auf der linken, bald auf der rechten Einfassung. Grün schillernde Vögel mit fluoreszierend blauen Flügeln flogen auf, sobald Kaufner näher kam. In großer Höhe querte ein weiterer Bewässerungskanal, seine Pfeiler standen in Feldern, auf denen violett der Futterklee blühte. Dazwischen die Umrisse eines … Grabmals? Egal. Weiter!
    Am Eingang der Schlucht flirrten Hunderte von gelb-ockerfarbenen Libellen, Kaufner mußte mitten durch den Schwarm hindurch. Es war kühl in der Klamm, die Felswände standen so dicht, daß es darin deutlich dunkler war als draußen. Eine Weile konnte man noch auf der Einfriedung des Kanals gehen, an einer Feuerstelle vorbei, dann kam der Punkt, an dem der Kanal aufhörte und zum Bach wurde. Kurz darauf nahm er bereits die gesamte Breite der Schlucht ein, Kaufner ging im Wasser weiter. Immer häufiger lagen immer größere Felsbrocken im Weg, der Bach schoß ihm mit Macht entgegen.
    Bald stand ihm das Wasser bis zum Gürtel. Die Felstrümmer waren so hoch und rundgeschliffen, daß er sie mit den Händen zwar gerade noch zu fassen bekam, dann aber fehlte jede Möglichkeit, sich daran hochzuziehen oder mit den Füßen abzustützen. Kaufner mußte zurück. Nicht ganz zurück. Die Felswände der Schlucht hatten da und dort Lücken, an einer Stelle führte ein Streifen aus Geröll, Erde, spärlichem Bewuchs als schmaler Steilhang bergauf. Kaufner zog sich mit beiden Händen an den verfilzten Grasnarben hoch, bald kletterte er auf roter Erde, nach einer knappen Stunde stand er über der Schlucht. Absolute Stille, ein frischer Wind, alles roch schon heftig nach Hitze. Die gesamte Weite des Serafschantals ein Flirren im Dunst. Kaufner lehnte sich an einen Felsen und wußte einen Moment lang nicht, ob er sich erbrechen sollte oder erst mal – im nächsten Moment tat er beides zugleich. Blieb den ganzen Tag und die anschließende Nacht, so sehr setzte ihm das Baumwollöl zu.
    Disteln, sonndurchglühte Steine, rote Erde, hartes gelbes Gras, beständiger Wind. Schüsse im Tal oder woher immer. Abends da und dort aufflammende Lichter, Kaufner bildete sich ein, sogar in den Hängen. Sobald er inwendig völlig leer und das Fieber vorbei war, baute er das G 3 zusammen. Legte probeweise an und besah sich im Zielfernrohr die unwürdige Gegend am Serafschan. Im Fluß sah man ein paar Geschützlafetten, darum herum schwimmende Kinder. Er nahm sich fest vor, jeden zu erschießen, der ihm in den Weg kommen würde; wer sich jenseits des Zauns herumtrieb, war ein Paßgänger wie er oder einer vom Heiligen Kampf.
    Dann ging er los, mit wackligen Knien zunächst, die erste Gipfellinie war bald erreicht. Kaufner war da und war doch nicht da. Er dachte so angestrengt nach, daß er vermeinte, es in seinem Kopf knistern zu hören. Es war aber nur der Berg, der sich unter der Hitze des Tages duckte. Wohin man auch blickte, nirgendwo fand das Auge etwas, woran es eine Hoffnung hätte knüpfen können. Die Landschaft wiederholte sich endlos selbst, bucklige Welt bis hin zur eigentlichen Gipfellinie, die mit ihren Schneespitzen den nördlichen Horizont der Hochebene markierte. Kaufner mußte es sich eingestehen, er hatte keine Ahnung, wie er das Tal wiederfinden sollte, das
Tal, in dem nichts ist.

    Ohnehin führten diese verfluchten Tadschikengebirge jedes Gefühl ins Extrem – Berg-und-Tal-Fahrt der Seele, er kannte das vom letzten Jahr. Hier oben jedoch wurde man regelrecht von Verzweiflung befallen. Was hätte Odina an seiner Stelle gemacht? Er hätte sich abgekniet und den Staub zusammengescharrt, hätte daran gerochen und darauf herumgekaut. Hätte genickt, gespuckt, gewußt. Zögernd kniete Kaufner ab, sah sich über die Schulter, aber wer sollte ihn beobachten? Dann roch er, schmeckte den Sand. Sonst freilich nichts. Also wählte er eine der Felsformationen am Horizont, die besonders markant aus der schneebedeckten Gipfellinie ragte, gab ihr den Namen
Die drei Wesire
, damit sie leichter einzuprägen war (wie von Odina gelernt) und setzte den ersten Schritt.
    Zunächst Richtung Westen, wo er die Grenze zu Usbekistan wußte und das Tal in Erinnerung wähnte, das er suchte. Allerdings nicht fand. Nicht den geringsten Hinweis darauf. Als wäre er niemals zuvor im Turkestanrücken gewesen. Eine

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