Samstags, wenn Krieg ist
die Arme vor der Brust. Siggis hängen schlaff herab. Man muss ihn schon genau kennen, so wie Wolf, um zu wissen, dass er aus dieser Stellung ansatzlos zuschlagen kann.
Alle anderen versuchen gefährlicher auszusehen als sie sind, bevor ein Kampf beginnt. Wollen mit aufgeblähter Brust und erhobenen Fäusten ihren Gegnern Angst machen.
Nicht so Siggi. Der hat die harmlose Masche drauf. Der trifft dann seinen Gegner unvorbereitet und deckungslos.
Aber Wolf irrt sich. Siggi will ihn nicht angreifen. Siggi wundert sich nur.
„Was ist?“, fragt Wolf. Er will Klarheit.
„Hast du ihm was getan?“
„Häh?“
„Ob du Yogi was getan hast?“
„Was sollte ich ihm denn getan haben?“
Siggi zuckt mit den Schultern. Es ist eine Art Entschuldigung, denn er hat den Gedanken schon wieder verworfen.
„Ich dachte ja nur.“
„Was dachtest du?“
Er zuckt noch einmal mit den Schultern, stupst Wolf an und versucht ein Lächeln.
„Ich muss zur Arbeit.“
Wolf hält ihn fest.
„Was dachtest du?“
Der feste Griff lässt die letzten Reste von Siggis Selbstbewusstsein zusammenbrechen.
„Ich … es sah so aus … als hätte er Angst vor dir.“
„Klar“, lacht Wolf. „Der hat auch Angst vor Mäusen, vor lauter Musik und vor Spinat.“
Im Haus klingelt das Telefon.
Siggi nickt. Er will sich losmachen und ins Haus gehen, doch Wolfs Finger krallen sich in seinen Unterarm. Siggi wendet sich ab.
In dem Moment ertönt im Haus ein Schrei.
„Mama!“, kreischt Siggi und rennt ins Haus. „Mama!“
26
Vera schüttelt den Kopf über so viel Instinktlosigkeit.
„Sie haben also bei den Schmidtmüllers angerufen, um ihnen den Tod ihrer Tochter mitzuteilen?“
Der Beamte nickt betreten. Er weiß, dass es falsch war, aber er hat so etwas vorher noch nie machen müssen.
Vera hat schon Kaffee im Topf, aber sie mag ihn gerne mit Milch. Sie durchsucht ihren Schreibtisch nach der Dose mit dem Pulver.
Sie findet den Kaffeeweißer nicht. Vielleicht setzt sie nur deshalb zu einer Belehrung an. Diese kleinen Widrigkeiten des Alltags machen sie fertig. Nicht die großen Schicksalsschläge.
Sie fühlt sich wie ein Baum, der leidet, weil Liebespärchen ständig Herzchen in seine Rinde ritzen. Weil der Staub die Blätter verklebt und das Grundwasser unerreichbar für ihn ist. Deshalb muss er sich mit schwefeligem Regenwasser zufriedengeben. Dieser Baum wird nie gefällt werden. Er steht unter Naturschutz. Er braucht die Säge nicht zu fürchten, trotzdem spürt er täglich den nahenden Tod. Er wird eingehen.
Wenn sie in dieses Gefühl kommt – und an ihrem Schreibtisch ist sie ihm sehr nahe – dann muss sie sich plötzlich Luft machen. Sie bricht einen Streit vom Zaun und wenn sich kein Gegner anbietet, öffnet sie wenigstens die Fenster. Dann fegt – wenn sie Glück hat – der Wind ein paar Blätter von den Schreibtischen. Sie lässt es geschehen. Irgendein Kollege wird sich schon beschweren und dann hat sie den Streit gleich gratis dazu.
„Bevor die Eltern sie nicht eindeutig identifiziert haben, wissen wir nicht mit Sicherheit, dass die Tote überhaupt Renate Schmidtmüller ist. Was machen Sie, wenn sie gleich nach Hause kommt? Vielleicht ist sie schon da?!“, giftet Vera Bilewski.
Er schüttelt den Kopf. „Sie ist es.“
„Wollen Sie damit sagen, dass die Eltern sie schon identifiziert haben?“
Er nickt.
„Wie denn? Wann denn?“
„Telefonisch sozusagen.“
„Ich glaub es nicht!“, stöhnt sie und trinkt den Kaffee schwarz.
„Als ich angerufen habe, hat die Mutter sofort losgekreischt. Die wusste augenblicklich Bescheid. Sie hat im Grunde nur auf den Anruf gewartet.“
Kommissarin Vera Bilewski winkt ab. Durch die ungestüme Handbewegung schwappt Kaffee über ihren Handrücken.
Der Beamte wendet sich beleidigt ab.
Er ist ein paar Jährchen älter als Vera Bilewski und fühlt sich durch ihre Art gekränkt. Es kommt ihm vor, als sei er von seiner nie geborenen Tochter gemaßregelt worden. Er kann ja nicht ahnen, dass Vera Bilewski insgeheim denkt: Recht hat er. Endlich mal ein Mann mit Instinkt.
Sie kann sich gut vorstellen, wie das Telefongespräch abgelaufen ist, und sie glaubt daran, dass es so etwas wie eine Vorahnung gibt. Sie würde das hier nicht erzählen, denn sie kämpft tapfer gegen die Meinung ihrer männlichen Kollegen an, Frauen seien nur emotional, Männer hingegen logisch und vernünftig. Wobei klar ist, dass Logik und Vernunft die wichtigsten Eigenschaften eines Kriminalbeamten
Weitere Kostenlose Bücher