Samstags, wenn Krieg ist
wieder schließen, aber es geht nicht, Die Halterung ist herausgebrochen. Er kann die Tür nur anlehnen.
Ein Satz seiner Oma schießt ihm durch den Kopf: Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.
Oma ist auch schon tot.
In dem Moment spürt er den Schmerz kommen, der hinter dem eigentlichen Begreifen liegt. Renate ist nicht mehr. Tot. Ermordet.
Hass wallt in ihm auf. Hass. Er ballt die Fäuste. Der Krampf in der Brust löst sich auch nicht, als sein Vater ihn am Arm nimmt, um ihn ins Wohnzimmer zurückzuführen.
28
Wolf hat die Erschütterung gesehen. Er weiß jetzt, dass nie, nie, nie herauskommen darf, was er getan hat. Nie!
Sie würden es nicht verstehen. Nie. Siggi schon gar nicht. Der würde mich umbringen. Sofort.
Es tut ihm in der Seele weh. Genauso gut könnte er sich einen Finger abschneiden oder einen Zeh. Aber es hat keinen Zweck. Er darf die Doc Martins nicht behalten. Sie müssen weg. Die verräterischen Springerstiefel.
Er hat garantiert Fußspuren auf dem weichen Waldboden hinterlassen. Aber wohin mit diesen Docs, die längst Teil seiner Persönlichkeit geworden sind? In den Biomüll? In den Hausmüll?
Er könnte sie leicht verkaufen. Für hundertfünfzig locker. Vielleicht mehr. Sie sind echt gepflegt.
Aber es darf keine Möglichkeit geben, den Weg von den Docs zu ihm nachzuvollziehen. Er hat keine Lust. für hundertfünfzig in den Knast zu gehen. Er nicht. Gerade jetzt nicht, da die Zeit reif ist und die Saat aufgeht.
Doitschland braucht ihn. Die Ichtenhagener Ultras und die ganze Bewegung. Er ist ein Söldner in diesem Krieg.
Mit seinem Klappmesser beginnt er, die Docs zu zerstückeln wie tote Ratten.
Er sticht zu. Bohrt das Messer hinein, dreht es im Leder und hebelt die erste Sohle ab.
Das ist die Lösung, denkt er. Die Lösung für alles. Wenn der Krieg erst das ganze Land erfasst hat, oder zumindest ganz Ichtenhagen, wenn nicht nur die Asylantenheime brennen, sondern auch die Gewerkschaftsbüros und Polizeizentralen, die Zeitungsredaktionen und Schulen. Die Schwulenkneipen und der Lesbenladen in der Nachbarstadt. Wenn das Behindertenheim nur noch eine Ruine ist und sich in der Irrenanstalt die Ärzte mit den Bekloppten aufhängen. Wenn die Bullen aus ihrem kugelsicheren Präsidium die weiße Fahne schwenken und die Verwaltung brav die Macht übergibt, dann wird er seinem alten Lehrer sagen: „Nimm die Brille ab, Stöpsel, damit ich dir eine reinhauen kann.“
Er grinst. Dann wird Renate auch nicht mehr sein als ein Opfer in diesem Krieg für Doitschland. Niemand wird mehr viel Aufhebens darum machen. Wie viele Tote braucht man, damit der Einzelne nicht mehr zählt?
Wahrscheinlich reicht es schon aus, wenn am Samstag keiner lebendig aus diesem Drecksnest von Asylantenheim herauskommt. Ein paar tote Bimbos und kein Mensch redet mehr von einem unbekannten deutschen Mädchen.
Er sticht auf die Docs ein, als könne er damit den Lauf der Geschichte verändern. Er zieht seine alten Turnschuhe an. Dann raucht er eine Selbstgedrehte und packt die Lederfetzen in eine Plastiktüte. Er trägt sie zum Fluss und vergräbt sie am Ufer der Ichte.
Ich darf nicht Renates Mörder sein. Ich bin es nicht. Auf keinen Fall ihr Mörder, höchstens ihr Rächer.
Er hält seine Hände ins Flusswasser. Das ist es. Wer nicht Amboss sein will, muss Hammer sein. Wer nicht Verfolgter sein will, muss zum Jäger werden. Wer nicht Opfer sein will, Täter. Wer nicht Renates Mörder sein will, muss sie rächen. Es gibt keine bessere Tarnung als die Umkehr der Wahrheit.
Er und Siggi. Sie werden Renates Tod nicht ungestraft lassen.
Wolf springt hoch, er schüttelt seine nassen Finger aus. Es geht ihm gut. Er atmet tief.
Er weiß auch schon genau, wer dran glauben muss. Ein Rächer braucht einen Schuldigen.
„Jetzt haben wir dich an den Eiern, Gino!“, brüllt er gegen die Baumkronen. „Das hättest du besser nicht getan! Du Zuchtbulle der Mafia! Du neapolitanische Stecher! Wir schneiden dir den Schwanz ab!“
29
Siggi will seinen Eltern so viel Ärger wie möglich abnehmen. Er ruft ein Beerdigungsinstitut an, aber dort erfährt er, dass bei Mord eine Beisetzung so ohne weiteres nicht möglich ist. Die Leiche müsse erst freigegeben werden. Der Beerdigungsunternehmer vermeidet das Wort Obduktion.
Trotzdem brüllt Siggi in den Hörer: „Meine Schwester wird nicht aufgeschnitten! Wenn sich einer an ihr vergreift, leg ich ihn um. Ist das klar?“
„Junger Mann, ich verstehe Ihre Erregung, aber ich bin
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