Samstags, wenn Krieg ist
Lebendigkeit. Mit ihr konnte er zanken bis zur Weißglut, aber danach war immer alles wieder gut. Nie hat sie ihn verpetzt. Nie wirklich in die Pfanne gehauen. Er war ihr Beschützer, ob sie das wollte oder nicht.
Er hatte versagt.
Er würgt. Kotzbrocken kommen in ihm hoch.
Er wickelt die Waffe in Filz und schiebt sie sich in den Hosenbund.
Ich krieg dich, Gino. Ich krieg dich. Erst in jedes Knie eine Kugel und dann zwischen die Augen. Bumm und aus.
Mit der Waffe geht er anders. Aufrechter. Er atmet tief in den Bauch hinein und in langen, ruhigen Zügen aus.
Die Waffe brennt an seinem Körper. Sie sitzt zwischen Gürtel und Bauch fest. Von dort geht etwas aus, das seine Traurigkeit verdrängt und stattdessen wieder Platz macht für Wut. Rache statt Trauer. Kampf statt Lähmung. Töten statt Vergeben.
Er tritt fest auf. Sein Atem kommt ihm vor wie ein Flammenwerfer. Durch die Nase saugt er Benzin ein, durch den Mund bläst er hinein in das Feuer, das vor ihm lodert.
Ich werde es allein tun, denkt er. Die Sache geht nur uns beide etwas an. Gino und mich.
Da plötzlich kommen Zweifel in ihm auf. Was, wenn Gino es gar nicht war?
Na und? Ein Itaker weniger.
Aber wenn er es nicht war und ich ihn ausknipse, dann läuft das richtige Schwein weiter frei herum. Scheiße. Ich werde ihn zum Geständnis zwingen. Mit einer Kugel im Knie und einem Lauf am Ohr sagt jeder die Wahrheit.
38
Das Haus hat vier Stockwerke. Im oberen wohnt Gino mit seinen Eltern.
Es ist ein Flachdachbau. Im Sommer tierisch heiß. Die oberen Wohnungen können praktisch nur an Ausländer vermietet werden. Für Asylanten zu teuer. Aber ein Gastarbeiter mit gut gehender Pizzeria kann sich die Räume leisten.
Es gibt einen Fahrstuhl, eine Klimaanlage, einen Balkon zur Sonnenseite. Die Oliverios sind zufrieden.
Gegenüber liegt ein Parkhaus. Auf dem schmalen Steg zwischen Wand und Auffahrt geht Siggi hoch.
Das Parkhaus ist fast leer. Es war von Anfang an eine Fehlplanung. Völlig am Bedarf vorbei. Es hat sechs Parketagen. Mehr als zwei sind nie besetzt. Auch nicht, wenn Schützenfest oder Jahrmarkt ist.
In der dritten Etage vögelt ein Pärchen in einem silbernen Golf. Sie lenken Siggi nur für einen Moment von seinem Plan ab.
Der Wagen wackelt. Die Stoßdämpfer quietschen rhythmisch. Die beiden sind wohl schon in der Endphase und kriegen nicht mehr mit, was um sie herum passiert. Siggi könnte sich jetzt daneben stellen und zusehen. Aber er denkt nur an seine Rache.
Das Parkhaus hat Belüftungsfenster, die für Siggi wie Schießscharten einer modernen Burg aussehen.
Er schaut durch. Bei den Oliverios brennt Licht. Von Gardinen halten sie nicht viel. Nur ein schmaler, selbstgehäkelter Streifen ziert die Fenster. Großmaschig und geradezu einladend.
Eine Zimmerpflanze stört Siggi. Er nimmt die Waffe aus dem Tuch und zielt auf Gino.
Noch ist die P 7 nicht durchgeladen. Siggi zielt damit wie früher mit seinem silbernen Colt. Er bläht die Wangen auf und lässt dann die Luft aus den Lippen platzen.
“Bum. Bum. Bum.“
Die Schussposition ist ungünstig. Er muss noch eine Etage höher.
Es wurmt ihn, Gino aus solcher Entfernung abzuknallen. Einerseits bietet die Distanz Schutz. Niemand kann ihn hier entdecken. Andererseits entgeht ihm auch der Genuss.
Er will ihn weinen sehen. Röcheln und sterben. Das Entsetzen in seinen Augen, wenn er kapiert: ich bin angeschossen worden.
Am liebsten wäre Siggi mit Gino alleine. Er möchte ein Geständnis. Gino soll wissen, dass er sterben wird und er soll dem Vollstrecker in die Augen sehen.
Siggi stellt sich vor, wie er hochgeht zu der Wohnung und klingelt. Gino öffnet und guckt direkt in den Lauf.
Aber Siggi weiß, das wird er nicht tun. Es ist zu riskant. Ginos Mutter ist in der Wohnung. Siggi kann sie sehen. Vielleicht guckt die Schwester noch nebenan Fernsehen. Siggi müsste sie alle umbringen.
Das schafft er nicht. Gar nicht daran zu denken. Mit Dynamit, ja. Das wäre kein Problem. Eine Stange durch den Türschlitz werfen oder durchs Fenster und aus. Da wäre die Distanz gut. Aber aus nächster Nähe kann er nur Gino umbringen. Frauen sowieso nicht.
Er hat das Gefühl, sich mal wieder selbst im Weg zu sein und nicht wirklich zu wissen, was er will.
Siggi kommt noch einmal an dem silbernen Golf vorbei. Er trägt die Waffe offen in der Hand. Die Beifahrertür vom Golf wird geöffnet. Mit einem Satz huscht Siggi in die dunkle Ecke am Lüftungsschacht. Er duckt sich. Hier wird ihn niemand
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