Samtheiß
daß er mir glaubt.
»Ich bezahle auch. Meine Mutter sagt, ich brauche Nachhilfe.«
»Ich kann nicht«, sagt er freundlich. »Ich habe keine Zeit. Wenn ich nicht in der Schule bin, arbeite ich oder helfe zu Hause aus.«
»Aber das ist doch auch Arbeit.«
Ich werde vor ihm auf meine Knie fallen, ihn anflehen, seine Füße waschen, tun, was immer er befiehlt. Alles!
Er sieht mich an, als könne er in meine Seele blicken. Vielleicht ist er ein Heiliger. Das würde erklären, warum ich ihn so toll finde.
»Nein, ich kann dir wirklich nicht helfen«, sagt Peter. »Tut mir leid.«
Ich kann mich nicht bewegen, bin wie gelähmt durch seine Zurückweisung. Wie kann er mir das antun? Nicht, daß er der am besten aussehende oder beliebteste Junge unserer Klasse wäre. Weit gefehlt!
Ich will ihn verletzen.
»Spielst du eigentlich irgendwann mal, Peter?« Ich mache mich über ihn lustig, in meinem sarkastischsten Tonfall.
Er rutscht auf seinem Fahrrad hin und her; sein Gesicht wird dunkel. O mein Gott, ich habe ihm wehgetan. O Gott, mach, daß er mir vergibt.
»Ich habe keine Zeit zum Spielen«, sagt er. »Ich studiere klassische Musik und später werde ich Musiker.« Peter blickt mich an, dann streckt er plötzlich die Hand aus und berührt mein Gesicht.
»Ich muß jetzt gehen.« Er stößt sich vom Bordstein ab.
In mir brodeln so viele Gefühle, daß ich nicht weiß, was ich sagen oder machen soll. Ich kann bloß dastehen. Ich möchte hinterherlaufen und rufen: >Peter, ich liebe dich. Es tut mir leid.< Aber ich glaube, irgendwie weiß er das schon.
Ich betrachte seine Beine, die auf und ab treten. Die Zeitungen fliegen aus seiner Hand. Er dreht sich um und lächelt noch einmal. Dann ist er verschwunden.
PATRICIA MCCONNEL
Das Dreieck
W olfgangs Lied drang in Elizabeths schlafendes Bewußtsein und weckte sie. Sie lächelte und genoß das melodische Jodeln einen Augenblick, bevor sie die Augen öffnete. Jeder Morgen begann so: zweifellos der schönste Moment ihres ganzen Tages. Wolfgang war noch oben in den Hügeln. Sie hatte Zeit, aufzustehen und das Teewasser aufzusetzen, bevor er kam.
Dann stellte sie sich, noch immer nackt, an das Flügelfenster, der einzige Grund, weshalb sie dieses ansonsten kleine, dunkle und schmuddelige Studio im Souterrain gemietet hatte. Dieses Fenster begann knapp über dem Fußboden und reichte bis unter die Decke; es füllte den größten Teil der Außenwand dieses Raumes aus und gab Elizabeth das angenehme Gefühl, unter freiem Himmel zu leben, ohne naß zu werden, wenn es draußen regnete. Da die Wohnung im Souterrain lag, war Elizabeth mit einem Schritt in einem verwahrlosten und unordentlichen Garten. Bei gutem Wetter stand das Fenster Tag und Nacht weit offen und ließ Nachtfalter, Fliegen, ab und zu eine Biene, frische Luft und Gerüche aus Küche und Garten der Nachbarn herein. Weder sie noch Wolfgang benutzten jemals die Haustür.
Nach einem Augenblick verließ Elizabeth ihren Platz am Fenster, kuschelte sich wieder in ihren Schlafsack, schob sich das Kopfkissen so zurecht, daß ihr Kopf oberhalb der Fensterbank lag und beobachtete den Teil des Zaunes, wo sie wußte, daß Wolfgang zuerst sichtbar werden würde. Seinen Weg durch die Hügel hinunter und am krüppeligen Zaun entlang konnte sie am Klang seiner Stimme verfolgen - ein flüssiges Trällern aus den Tiefen seiner Kehle. Und sie hörte in seinem Lied viele Botschaften.
»Ich bin so ein toller Typ; diese Welt aus hügeligen Gärten und Zäunen ist ganz nach meinem Geschmack, und dies ist mein Königreich; falls Damen in der Nähe sind - nun, hier bin ich.« Es war ein feierliches Lied, voller Selbstvertrauen und Zufriedenheit, und versöhnte Elizabeth wieder mit der Welt, egal, was sie während des vorigen Tages -oder der Nacht - bedrückt hatte. Mit diesem Lied umwarb Wolfgang seine Damen, und der Gedanke, daß er es auf seinem Nachhauseweg zu ihr, Elizabeth, sang, gefiel ihr.
Als gerade die ersten Sonnenstrahlen auf den Hinterhof fielen, erschien Wolfgang auf eben jenem Stück Zaun, das Elizabeth im Blick hatte. »Du alter Schlawiner, du inszenierst deinen Auftritt wirklich gut.« Wolfgang sprang in den Garten und stolzierte zierlich über den Kiesweg; ab und zu hob er den Blick zu Elizabeth am Fenster. Das Lied war zu Ende, er war zu Hause. Er betrat den Raum durch das offene Fenster und mit einem kleinen Satz landete er auf der Matratze, schnurrte und rieb seinen Kopf an Elizabeths Nase. »Dein Atem ist frisch
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