Samtheiß
letzten zwanzig Minuten. Schließlich kam er zum Bett, kniete sich neben Elizabeth, legte eine Hand auf ihr Knie und fragte: »Honey, ist irgend etwas nicht in Ordnung?«
Elizabeth blickte auf und direkt in seine Augen. Er wich dem Blick sofort aus. Was ist das? Wie kannst du in meinen Körper eindringen und vor meinem Blick Angst haben? Elizabeth spürte, wie in ihrem Kopf eine Tür zuklappte.
»Nein. Ich bin heute morgen einfach in einer ruhigen Stimmung. Schön, daß du gekommen bist.« O Gott, dachte sie. Warum habe ich das gesagt? Warum versuche ich immer, es den Männern recht zu machen?
»Ich auch. Bis heute Abend.«
Elizabeth fühlte sich erleichtert, als er gegangen war. Und schuldig. Etienne war so ein netter Typ, immer rücksichtsvoll, wirklich. Warum war sie wütend, weil er die Augen vor etwas verschloß, was ihm vielleicht unangenehm war; weil er sie übergangen und vergessen hatte - was hatte er denn vergessen? Etienne war ein empfindsamer, kundiger Liebhaber, aber da kam immer der Augenblick, kurz vor dem Höhepunkt, wo er seine Empfindsamkeit verlor, und zu vergessen schien, daß sie, Elizabeth, überhaupt existierte, wo er sich irgendwie von ihr zurückzog. Ihre Reaktion wurde unwichtig; sogar ihr Genuß wurde nebensächlich, so wie er sie am Schluß nahm. Er vollzog einen einsamen, selbstbezogenen Akt. Masturbierte. Und es spielte gar keine Rolle, wessen Körper gerade unter ihm lag. Aber das ist eigentlich nicht der Grund, dachte Elizabeth, denn wenn ich ehrlich bin, mache ich am Schluß genau das gleiche. Ich vergesse ihn, bin ganz auf meinen kommenden Orgasmus konzentriert. Dann erinnerte sie sich; er sollte ihr in die Augen sehen. Das war die Herausforderung, der er nicht gewachsen war. Das ist es, was mich nervt, dachte sie. Daß er mir nicht in die Augen sehen kann. Blödsinn. Niemand mag es, dir direkt in die Augen zu sehen. Außer Wolfgang.
Elizabeth stand auf und stellte sich ans Fenster. »Wolfgang? Wolfgang! Komm schon, alter Schmusekater, er ist weg.«
Heute abend werde ich ihn bitten, mir den Schlüssel zurückzugeben. Keine Ahnung, wie er es aufnehmen wird, aber ich muß meinen Schlüssel zurückhaben.
»Wolfgang! Miez, Miez, Miez?«
SANDY BOUCHER
Das Schachspiel
D as Haus war grau und viktorianisch, die Fassade ein Durcheinander verschiedener Stilrichtungen, vom schwermütigen rythmand blues des Fundaments über die Countrymusik der Geranien vor den Fenstern, dem jazzigen Schmuck eines verschnörkelten Simses hier, eines bleigefaßten Fensters dort und gekrönt von einem Kuppeldach. Früher war es einmal ein Einfamilienhaus, jetzt war es umgebaut zu sechs kleinen Apartments. Unseres lag im Parterre und schaute auf einen kleinen grasbewachsenen Hinterhof hinaus. Das Apartment von Conrad und Bridget lag direkt über unserem und war eine düstere Höhle mit zwei Zimmern, rußigen Wänden und zerfetztem Linoleumboden. Dieser Boden war nicht dazu angetan, Geräusche zu dämpfen, so daß wir in unserem Schlafzimmer die intimsten Augenblicke ihres Lebens mitbekamen, ebenso wie sie (bei dem Gedanken werde ich ganz rot) vermutlich die unseren.
Ich sah Conrad zum erstenmal, als ich in die Divisaderostraße fuhr, um mir das Haus anzusehen und zu entscheiden, ob ich die Parterrewohnung für meinen Mann John und mich mieten sollte. Da ich vor dem Makler da war, trödelte ich im Eingang herum, sah mich wenig begeistert um und versuchte, an dem, was ich sah, Gefallen zu finden, denn John und ich brauchten zum Monatsende eine neue Bleibe.
Die Haustür ging auf, und ein junger Mann trat ein. Er trug Jeans und T-Shirt, sein dunkles Haar war dick und verwuschelt und reichte ihm bis auf die Schultern. Aber es waren die Augen, die ich niemals vergessen werde. Sie waren schwarz und blickten mich so eindringlich an, daß mir im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offen stehen blieb. Etwas vibrierte tief in meinem Inneren, wie ein Jazz Riff, überraschend und doch vertraut in seiner Unvermeidlichkeit.
Einen kurzen Augenblick blickte er mich an, dann stürmte er mit einem schnellen interessierten »Hallo« an mir vorbei die Treppen hoch. Ich sah ihm nach, er drehte sich noch einmal nach mir um, seine Augen glänzten unnatürlich in der Dunkelheit. Das Abkommen zwischen uns war besiegelt.
John zu überzeugen, daß wir dieses Apartment mieten sollten, war nicht weiter schwer. Er brummte zwar, die Gegend sei gefährlich und wir würden bestimmt bald beklaut. (Tatsächlich wurden wir dort öfters
Weitere Kostenlose Bücher