Samtpfoten im Schnee
Belinda.«
»Was soll das heißen?«
»Belinda war ein reizvolles Geschöpf. Sie liebte das gesellschaftliche Leben, hübsche Kleider, ihren Status. Nichts von diesen Dingen hat für Meghan Bedeutung. Belinda war das, was du gesehen hast. Meghan hat mehr ... mehr ...«
»Tiefe?«, ergänzte er.
»Ja. Und deshalb empfindet sie auch Leid viel stärker.«
»Oder die Liebe«, sagte er ruhig.
»Oder die Liebe.«
Für Meghan waren diese Tage idyllisch. Ihre Kopfschmerzen waren schon nach dem ersten Tag nach dem Sturz wieder verschwunden. Zusammen mit den anderen genoss sie die Weihnachtsvorbereitungen und die Stunden, die sie mit Irene verbrachte. Jeden Tag wieder freute sie sich auf die Zeit mit Joy - sogar, oder auch besonders, auf die nie aufhörenden Fragen des Kindes. Begeistert nahm sie an den Unternehmungen teil, an den geselligen Runden, bei denen gemeinsam gesungen wurde. Sie fand die Verkleidungsspiele unglaublich amüsant und die Weihnachtslieder sehr ergreifend.
Doch am meisten von allem freute sich Meghan auf die Augenblicke mit Justin. Mit ihm allein in einem Zimmer zu sein versetzte sie in Hochstimmung. Wenn sie sich zufällig berührten, spannten sich alle ihre Sinne an.
Eines Abends saßen Meghan und Layton als Zuhörer nebeneinander, während Justin und Mrs. Seagraves ein Du-ett sangen, bei dem sich sein Bariton und der Sopran der älteren Dame harmonisch zusammenfügten. Am Ende ihrer Darbietung genossen die beiden Vortragenden den begeister-ten Applaus.
»Ihr solltet ihm eine Chance geben«, sagte Layton ernst.
»Wem was geben?«
Layton wies mit einem Nicken auf Justin. »Er ist interessiert, wisst Ihr. Und da Ihr mich nicht haben wolltet, solltet Ihr das Zweitbeste nehmen.« Er grinste.
»Arrogantes Biest«, erwiderte sie mit einem Lachen. »Au-
ßerdem habe ich Euch doch gesagt, dass ich -«
»Ich weiß. Ich weiß. Ihr sagtet, Ihr wäret nicht interessiert, aber andererseits könnt Ihr kein Auge von Justin lassen, sobald er das Zimmer betritt.«
»Oh, jetzt hört aber einmal! Ganz so lächerlich führe ich mich nicht auf.«
»Nun«, fuhr Layton fort, »ich bezweifle, ob es den meisten anderen ebenso aufgefallen ist wie mir.«
»Ich gebe zu, dass Justin Wingate ein sehr attraktiver Mann ist, aber ...« Ihre Stimme erstarb.
»Er ist nicht wie Kenwick.«
»Was meint Ihr damit?«
Layton drückte sanft ihre Hand. »Ich sage dies nicht, um Euch zu verletzen, Meghan. Justin war seiner Frau treu - obwohl er weiß Gott reichlich Gelegenheit hatte, es nicht zu sein. Und er war - er ist nicht der Leichtfuß, wie Kenwick es Euch hat glauben machen wollen.«
»Wie könnt Ihr wissen -«
»Wie ich wissen kann, was Kenwick Euch erzählt hat?«
Layton stieß ein hartes, freudloses Lachen aus. »Weil Euer Gatte uns zu erzählen pflegte, mit welchen Ausreden er Euch abgespeist hat.«
Meghan starrte ihn einen Augenblick lang ungläubig an, dann seufzte sie. »Ihr alle müsst mich für eine ausgemachte Närrin gehalten haben.«
»Nein. Wir hielten ihn für einen Narren, weil er glaubte, er könnte sich ungestraft auf diese Art benehmen. Und jetzt wissen wir, dass er ein bedauernswerter Ignorant gewesen ist, weil er nicht begriffen hat, welchen Schatz er in Euch hatte.«
Sie lächelte über seine Worte. »Vorsicht. Ihr werdet mich noch hoffnungslos eingebildet machen.«
Später am Abend dachte Meghan über das nach, was Layton gesagt hatte.
Es war richtig, dass Justin ihr in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit schenkte. Richtig war auch, dass ihr Eindruck von diesem Mann ihre frühere Meinung über ihn Lügen strafte.
Hatte ihr Vater sie nicht vor vielen Jahren gelehrt, dass man einen Mann nach den Menschen beurteilen könnte, die ihn liebten? Mit Ausnahme ihres Ehemannes waren Justins Freunde in höchstem Maße integer - wobei sie Robert und Irene in dieser Hinsicht ebenso als seine Freunde wie als seine Verwandten ansah.
Ja. Sie könnte ihn lieben. Sie liebte ihn. Aber hatte sie nicht geschworen, nie mehr das Risiko einzugehen, verletzt zu werden?
Was für eine feige Einstellung das ist, tadelte diese teuflische innere Stimme sie dafür. Ja, feige. Leben heißt fühlen.
Man muss für den Schmerz empfänglich sein, um die angenehmen Seiten des Lebens schätzen zu können.
Hatte sie das nicht auch aus der bedingungslosen Liebe gelernt, die Joy ihr schenkte - und die sie ebenso bedingungslos erwiderte?
Liebe trug immer das Risiko des Schmerzes in sich, doch trotz dieses Risikos musste sie
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