Samtschwarz - Page, S: Samtschwarz
einen Schlag aus. Ihren letzten Brief hatte sie in einem tadelnden Ton geschrieben. Nun benutzte sie seinen mittleren Namen, was bedeutete, dass sie um Vergebung bat.
Sein Blick glitt über die Zeilen. Was würde es sein? Sohn oder Tochter?
Es gab nichts, was man hätte tun können.
Sie sagen, es sei ein Wunder, dass ich noch lebe. aber das ist es nicht. Es tut so weh. Ich verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe. Ich denke wieder und wieder darüber nach …
Nigel sagte mir, Ich solle nicht schreiben … ich solle mich ausruhen. aber ich muss es dich wissen lassen.
Lancelot, Ich habe das Baby verloren. Sie wurde tot geboren.
Die Schrift war verwischt, als wären Wassertropfen auf die Seite gefallen, bevor die Tinte getrocknet war.
Zur Hölle mit dem Bastard, der versuchte, ihn wie einen Mörder aussehen zu lassen – er musste zu Anne.
„Ich habe eine Nachricht in Lord Swansboroughs Haus gesandt.“
Das Buch, in dem sie gerade gelesen hatte, glitt Maryanne aus den Händen. Mit wehenden Seiten streifte es die Kante des Fenstersimses, bevor es auf den Boden fiel und ihre Teetasse umwarf.
„Oh Gott, Venetia, du hast doch nicht etwa …“ Wie konnte ihre Schwester das tun – in ihr Schlafzimmer tanzen, ihr ganzes Leben in ein einziges Chaos verwandeln und das derart ruhig verkünden?
Niemals hätte Maryanne zugegeben, dass ihr Herz vor Hoffnung wie wild schlug. Drei Nächte waren seit ihrem Abenteuer vergangen. In jeder dieser Nächte hatte sie an diesem Fenster in ihrem Schlafzimmer gestanden und in Richtung Hyde Park geschaut. Ihre Finger hatten mit den Fensterriegeln gespielt. Es war so einfach, das Fenster zu öffnen. Gefährlicher war es da schon, an dem Baum hinunterzuklettern, dessen Zweige die Wand berührten, aber es war nicht unmöglich.
Doch das Abenteuer war vorüber, und nun konnte sie nichts anderes mehr tun, als zu warten.
Plötzlich verstand sie, was Venetia beabsichtigte. „Aus welchem Grund hast du ihm geschrieben? Um ihm eine Einladung zu seiner eigenen Hochzeit zu schicken?“
„Nein. Ich habe ihn zu einem harmlosen Hauskonzert eingeladen.“
Ihre Schwester trug eine kleine Leinwand unter dem Arm. Mit einem tiefen Seufzer ließ Venetia sich auf dem Sofa nieder, das einen behaglichen Platz am Kamin bot, und legte die unberührte Leinwand vor sich auf den Boden. Das Teetablett stand auf einem kleinen achteckigen Tisch, und Maryanne beeilte sich, ihrer Schwester Tee einzuschenken. Tee musste immer serviert werden – auch mitten im Krieg.
Mit einem traurigen Lächeln nahm Venetia die Tasse entgegen.
„Er hat die Einladung abgelehnt, nehme ich an“, bemerkte Maryanne.
Venetias Tasse klirrte leise auf der Untertasse. Trotz des strahlenden Sonnenscheins legte sich ein seltsamer grauer Schimmer auf ihr Gesicht. Blässe mit einem leichten Grünton. Maryanne schaute sich suchend nach ihrem leeren Nachttopf um, obwohl ihre Schwester schon seit Monaten nicht mehr mit Morgenübelkeit zu kämpfen hatte.
Ihr war ebenfalls übel, übel vor Sorge.
„Ich habe eine Antwort von seinem Sekretär erhalten“, erklärte Venetia. „Swansborough musste zu seiner Schwester reisen. Er ist in aller Eile nach Buckstead aufgebrochen.“
Kalte Angst fiel wie ein Stein in Maryannes Magen. „Was ist passiert?“
„Seine Schwester lag im Kindbett. Das Kind war eine Totgeburt, und seine Schwester wäre beinahe ebenfalls gestorben.“
„Seine Schwester hat ihr Kind verloren? Oh, mein Gott!“ Mit einem gellenden Laut, der ihr in den Ohren schmerzte, hob sich der Boden unter Maryannes Füßen. Entsetzen und Grauen stiegen in ihr auf, und sie rannte auf ihren Nachttopf zu und übergab sich unter lauten, würgenden Geräuschen.
7. KAPITEL
Dezember 1819
Maryanne legte die Hand auf ihren nervösen Magen und knabberte an einem trockenen Keks. Sie musste der Wahrheit ins Auge blicken. Schon das dritte Mal war nun ihr monatliches Unwohlsein ausgeblieben.
Dass ihr an jenem Nachmittag, als sie von dem Verlust hörte, den Dashs Schwester erlitten hatte, übel geworden war, konnte nichts mit ihrer Schwangerschaft zu tun gehabt haben. Nicht so rasch. Aber das flaue Gefühl in ihrem Magen, welches sie nun fast ständig verspürte, war dafür ein umso deutlicheres Zeichen.
Seufzend griff sie nach dem Knauf der Tür, die zu Venetias Atelier führte. Es wurde Zeit, ihrer Schwester zu sagen, wie es um sie stand. Während Dashs Abwesenheit von London hatte Venetia nichts mehr unternommen. Wenigstens dieses
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