Samtschwarze Nacht - Dodd, C: Samtschwarze Nacht - Into the Shadow (Darkness Chosen 03)
hatte, seine Fußspitzen zu sehen. Sie hatte vorher noch nie mit ihm zusammengearbeitet, konnte sich aber nach einem Tag mühelos ein Bild von seinem wahren Charakter machen.
Nachdem sie sich am Flughafen von Kathmandu getroffen und den Zug in die Bergregion genommen hatten, wo das Hotel entstehen sollte, fing er schon in der ersten halben Stunde an, Karen anzubaggern. Als sie ihn auf seinen Ehering ansprach, meinte er schulterzuckend, seine Frau sei schließlich weit weg. Im Übrigen gehe sie das nichts an.
Karen fand schon, dass sie das etwas anging, verkniff
sich jedoch einen gepfefferten Kommentar.Vielmehr lenkte sie das Thema auf Phils Arbeitserfahrung.
Von da an war die Sache den Bach runtergegangen.
Sie blieb mitten auf dem geröllbedeckten Pfad stehen und wartete, bis er sie erspäht hatte. Sie winkte ihn zu sich hoch und las ihm gehörig die Leviten. Danach ließ sie ihn einfach stehen, schwenkte herum und legte das letzte Stück Weg zu ihrem Zelt zurück.
Mingma hatte ein kleines Feuer gemacht, indem sie getrockneten Yakdung in einem in den harten Boden gegrabenen Loch entzündete. Der zinnfarbene Rauch erhob sich spiralförmig in den strahlend blauen Himmel.
Die gute Fee reichte ihr einen Becher heißen, süßen Tee mit Yakmilch.
»Danke.« Karen legte die Hände um den Becher und nahm einen Schluck. Sogleich breitete sich wohlige Wärme in ihrem Magen aus.
»Essen Sie, Sie müssen essen.« Mingma deutete auf eine kleine Schüssel mit einem Curry aus Kartoffeln, Fleisch und Gemüse, scharf gewürzt und mit irgendetwas grünlich angefärbt.
Karen kümmerte es nicht weiter, wieso das Curry grünlich aussah. Sie war durch ihre Missionen in fernen Ländern einiges gewohnt: vergammeltes Fleisch, verschimmelten Käse und auch schon mal knusprig gebratene Insekten. Sie war zäh, sie war durchtrainiert, sie wusste, wie man unter Extrembedingungen überlebte. Sie konnte für sich selbst sorgen, aber das brauchte sie dieses Mal nicht - sie hatte ja Mingma.
Sie setzte sich auf einen Klapphocker und aß mit einem Löffel aus Yakhorn. Zwar hatte sie ihre eigenen Sachen mitgebracht, in der Nacht nach ihrer Ankunft fegte jedoch ein Wahnsinnssturm eine ihrer Kisten um, und der Inhalt war auf Nimmerwiedersehen den Abhang hinuntergerollt und in den zahllosen Felsritzen verschwunden. Seitdem wusste Karen, dass Monsterstürme hier normal waren. Monsterunwetter, Monsterschneestürme, Monsterwindhosen, Windenergien, die sich auf dem Berg zusammenballten und die sie gnadenlos weggepustet hätten, ähnlich wie man einen lästigen Moskito weggeschnipst.
Ich lasse mich nicht wegschnipsen wie ein lästiges Insekt! Kommt gar nicht in die Tüte!
Als Phil mit hängenden Schultern bei ihr erschien, strafte sie ihn erst mal mit Verachtung. Während er nervös auf den Fersen kippelte, aß sie seelenruhig ihre Schale leer und stellte sie beiseite. Dann nahm sie den Gesprächsfaden von vorhin wieder auf. »Phil, ich hätte nicht übel Lust, Sie fristlos zu feuern. Oder können Sie mir einen plausiblen Grund nennen, der dagegen spricht?«
»Keine Ahnung. Mir … mir war furchtbar schlecht letzte Nacht, aber ich bin heute trotzdem zur Arbeit gekommen …«
»Letzte Nacht? Soso, da war Ihnen schlecht.« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Und deshalb haben Sie Ihre Freundin besucht?«
Er warf Mingma einen vernichtenden Blick zu. »Ja, ich … ich meine, ich brauchte jemanden, der mir half, wieder auf die Beine zu kommen, sonst … sonst hätte
ich heute vermutlich gar nicht zur Arbeit gehen können.« Er wischte sich mit einem feuchten, angeschmuddelten weißen Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn.
»Ich geb Ihnen noch eine Chance, Phil. Es ist wohlgemerkt Ihre letzte .Wenn so was nochmal vorkommt, schmeiß ich Sie achtkantig raus.« Karen nickte rigoros in Richtung Baustelle. »So, und jetzt an die Arbeit, aber dalli.«
Sie würdigte ihn keines weiteren Blickes, hörte jedoch, wie er missmutig losstapfte und den Sherpas schon von Weitem Anweisungen zubrüllte.
Sie stand auf, schlenderte zum Rand des Plateaus und schaute auf die Baustelle. Ihre Arbeiter, die die gesprengten Steinbrocken wegschafften, muteten von hier oben an wie geschäftige Ameisen. Die Schaufelbagger beseitigten die größeren Felsblöcke, die zottigen Yaks trotteten hinter ihren Besitzern her und schoben das Geröll mit einer Art Egge zu Haufen zusammen.
Als sie ein kleines Mädchen war, hatte sie in ihrem Schlafzimmer in Montana von schönen
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