Samtschwarze Nacht - Dodd, C: Samtschwarze Nacht - Into the Shadow (Darkness Chosen 03)
fröstelte Karen mit einem Mal. Sie schaute sich unbehaglich um. »Ich muss von hier verschwinden«, flüsterte sie.
Dika legte ihre Hand auf Karens. »Umso mehr Grund für Sie hierzubleiben. Das Hotel beschäftigt Sicherheitsleute, die für Ihren Schutz sorgen. Hier haben Sie Freunde und Kollegen, die Ihnen glauben, wenn
Sie sagen, dass Sie einen scheinbar harmlosen Mann als Bedrohung empfinden.«
»Ja …« Was Dika sagte, klang plausibel, und die Panik, die wie eine eisige Klammer Karens Herz umschloss, verlor sich. Vielleicht war das mit der Flucht gar keine so gute Idee …
Dika, die bemerkte, dass Karen entspannte, lächelte. »Ja. Schon besser. Ich erzähl Ihnen mal eine Geschichte. Vor ungefähr vierzig Jahren erlebte mein Stamm eine schlimme Tragödie«, begann sie.
»Ihr Stamm?«
»Ja, ich bin eine Roma. Eine Zigeunerin.«
»Oh!« Karen betrachtete Dikas tiefbraune Augen, ihre dunkle Haut, die kleine, kompakte Statur. »Ich wusste nicht, dass die Roma in der Ukraine leben.«
»Die Roma sind durch die ganze Welt gezogen, und vor etwa tausend Jahren machte mein Stamm den Fehler, sich in Russland anzusiedeln.« Dika zog ein Gesicht. »Die Russen verfolgten uns nach allen Regeln der Kunst. Echte Probleme bekamen wir allerdings erst vor vierzig Jahren, als uns unser wertvollster Besitz genommen wurde.«
Karen dachte automatisch an die Ikone. »Und was ist Ihr wertvollster Besitz?«
Dika seufzte. »Das war ein Mädchen, alle nannten sie die Auserwählte. Weil sie Visionen hatte, die uns führten, die unsere Geschicke leiteten. Unsere Zorana. Als sie fortging …«
»Sie ging fort? Ich dachte, sie wäre Ihnen genommen worden?«
»Die Geschichten variieren.« Dika zuckte vielmeinend
mit den Schultern. »Es wird immer mal wieder anders überliefert. Ich weiß bloß, dass wir seitdem vom Pech verfolgt sind. Die Achsen von unseren Wagen brachen, etliche Babys starben, unsere jungen Männer wurden umgebracht. Mein Vater verschwand in einem der russischen Gefängnisse. Damals war ich elf. In der Ukraine waren die Milizen häufig sehr grausam und auch sehr korrupt. Sie nahmen sich, was sie wollten, sie mordeten und brandschatzten. Meine Mutter brachte mir bei, mich zu verstecken, wann immer sie auftauchten, und ich hielt mich daran. Aber einmal - ich war fünfzehn - sah mich dummerweise ein General, bevor ich verschwinden konnte. Er wollte mich haben und drohte, unsere sämtlichen Wagen in Brand zu stecken, wenn die Roma mich nicht an ihn ausliefern würden. Das taten sie dann.«
Karen fragte fassungslos: »Wie konnten sie denn so was machen?«
»Entweder ich oder ihre eigenen Kinder, folglich opferten sie mich.«
Das Gespenst der Erinnerung geisterte durch Karens Kopf. Das Kind opfern …
Dika blickte auf die Bierflasche, die sie in der Hand hielt. »Ich hab meine Mutter nie wiedergesehen. Ich war fünf Jahre mit Maksim zusammen. Er war verrückt nach mir, und irgendwann, denke ich, ist er darüber verrückt geworden. Er verdächtigte mich, dass ich mit anderen Männern schlafen würde. Er beschuldigte seine Soldaten, seinen Bruder, seinen besten Freund. Er schlug mich und trat nach mir, so unglücklich, dass ich keine Kinder bekommen konnte.«
»Wie tragisch. Das tut mir sehr leid für Sie.«
»Schließlich wusste ich mir nicht mehr zu helfen. Ich schlief dann tatsächlich mit einem anderen, einem einflussreichen Mann, und als der General mich von ihm wegholen wollte, bat ich meinen Lover, ihn abzuknallen wie einen streunenden Hund. Danach konnte ich fliehen und bin hierhergekommen.« Dika sah auf, tiefe Linien hatten sich um ihre Mundwinkel und zwischen ihre Brauen gegraben. »Ich hab heute noch gelegentlich Albträume von Maksim.«
»Und da rege ich mich auf? Ich muss mich echt schämen, nachdem ich Ihre Geschichte gehört habe.« Zwar hatte Warlord sie gegen ihren Willen festgehalten, aber er hatte ihr versprochen, ihr nie wehzutun, und das glaubte sie ihm auch jetzt noch vorbehaltlos.
»Nein. Sie müssen sich nicht schämen. Sie können stolz sein, dass Ihnen die Flucht glückte. Ich danke Gott jeden Tag, dass ich den Mumm hatte, mich gegen Maksim aufzulehnen. Ehrlich gesagt war ich richtig froh, als er tot war.« Dika schob ihr Kinn vor. »Miss Karen, Sie möchten doch nicht Ihr ganzes Leben lang auf der Flucht sein, oder? Wenn er nicht der besagte Mann ist, dann können Sie sich entspannt zurücklehnen und Ihr Leben genießen. Ich werde die Wachleute bitten, ein Auge auf ihn zu haben. Sollte
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