Samuel Carver 01 - Target
seinen Ehrgeiz und seinen Machtwillen. Wenn der ehemalige Oberst des KGB leise sprach, dann nicht, weil er sanftmütig gewesen wäre, sondern weil er damit rechnen konnte, dass auch ein Befehl im Flüsterton augenblicklich ausgeführt wurde.
Sein Tag hatte mit einer Acht-Uhr-Sitzung in Moskau begonnen, bei der der Erwerb der letzten russischen Aluminiumhütte erörtert worden war, die sich noch nicht in seinen Händen befand. Seine Verhandlungstaktik war sehr einfach: Er nannte einen Kaufpreis und informierte den Verkäufer darüber, dass er innerhalb einer Woche tot sei, wenn er nicht akzeptierte. So funktionierten die Geschäfte in der Wirtschaft des neuen Wilden Ostens, und das sagte Schukowski sehr zu. Allerdings entwickelten sich nicht alle seine Geschäftszweige so glatt. Nicht alle seine Partner waren durch Einschüchterung so leicht zu beeindrucken.
In dem Challenger Jet, mit dem er am Nachmittag in die Schweiz geflogen war, hatte er den Anruf eines afrikanischen Präsidenten entgegengenommen. Er war ein alter Genosse aus kommunistischer Zeit, der wie viele aus der herrschenden Klasse seines Kontinents in Kiew beim KGB geschult worden war. Inzwischen verhielt er sich gar nicht mehr wie ein Genosse. Er wollte einen 100-Millionen-Dollar-Auftrag platzen lassen. Und da ging es nicht um Aluminium.
»Mein lieber Juri«, besänftigte ihn der verschlissene Despot, dessen Bankguthaben in Zürich exakt den Hilfsgeldern entsprach, die in den letzten drei Jahrzehnten in sein Land geflossen waren. »Ich habe Ihnen seit Wochen viele Male erklärt, dass das nicht persönlich gemeint ist. Es geht um Politik. Wir können einfach nicht riskieren, Ihnen solch ein Produkt abzukaufen.«
Sein Englisch verband das Melodiöse der afrikanischen Sprachen mit dem gelangweilten Selbstvertrauen eines englischen Gentlemans. Nach Kiew hatte er an der London School of Economics studiert. Auch das war typisch für seine Kaste.
»Ich mache keinen Vorschlag , Herr Präsident. Ich erfülle den Vertrag, den wir beide unterschrieben haben«, erwiderte Schukowski geduldig.
»Den wir unter ganz anderen Bedingungen unterschrieben haben. Da waren die westlichen Regierungen noch ganz anders gestimmt. Die einfache Tatsache ist die, dass wir unter enormem Druck gestanden haben, gewisse Aspekte unserer Verteidigungsanschaffungen und -Strategie zu ändern. Man hat sogar gedroht, die Hilfsleistungen zurückzuhalten, die mein Volk so dringend braucht.«
Schukowski schloss frustriert die Augen, während er darauf antwortete. »Bitte, Herr Präsident, ersparen Sie mir die ergreifenden Reden. Wir haben eine Abmachung. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn sich Ihr Land daran halten würde.«
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, sagte der Präsident. »Aber geben Sie nicht mir die Schuld, sondern dieser fürchterlichen Frau, die sich vor sämtlichen Fernsehkameras produziert.«
»Die ist jetzt tot. Sie wird niemanden mehr beeinflussen können, und die einzigen Kameras, vor denen sie sich noch produzieren kann, sind die beim Begräbnis. Bald geht alles wieder seinen normalen Gang.«
»Nun, das hoffe ich. Und wenn es so weit ist, werde ich Ihnen nur allzu gerne wieder Ihr Produkt abkaufen, Juri. Aber bis dahin muss das Geschäft aufgeschoben werden. Und tun Sie nicht so empört. Ich bezweifle, dass ich der Einzige Ihrer Kunden bin, der seine Pläne überdacht hat.«
Äußerlich blieb Juri ruhig; seine Stimme verriet keinerlei Zorn. »Wie Sie wissen, sind meine Geschäfte stets vertraulich, Herr Präsident.«
»Selbstverständlich. Grüßen Sie Irina von mir.«
»Und Grüße an Thandie. Auf Wiederhören, Herr Präsident.«
»Auf Wiederhören, Herr Schukowski.«
Juri legte das Telefon hin und lehnte sich wieder in die beige Ledercouch an der Seite der Kabine. Die Dinge entwickelten sich nicht wunschgemäß. Aber vielleicht war das zu erwarten gewesen. Die Welt befand sich noch im Schockzustand. Es würde etwas dauern, bis die Leute sich beruhigen, Bilanz ziehen und wieder zur Normalität übergehen würden. Bis dahin hatte er allerhand aufzuräumen.
Sein Bentley erwartete ihn auf dem Privatflughafen im Osten des Genfer Sees und brachte ihn schnellstens zu dem Haus in den Bergen bei Gstaad. Er war seit vier Stunden dort, als er die Nachricht von Kursk erhielt. Carver war erneut entkommen, aber dann hatte Kursk nicht ohne sadistische Freude enthüllt, dass er Aleksandra Petrowa geschnappt hatte.
Schukowski konnte sich vorstellen, was Kursk
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