Samuel Carver 02 - Survivor
zunichtezumachen, wie ein Rowdy, der am Strand eine Sandburg eintritt.
Als das Loch knietief war, ging Carver zu Larssons Rucksack und band die Nylontasche los, die das Zelt enthielt. Wenn es ihnen gelänge, das Zelt in dem Graben aufzubauen und vor die Zeltklappen Schnee zu schaufeln, sollten sie ausreichend geschützt sein, um das Unwetter auszusitzen.
Rasch und methodisch sortierte Carver Heringe, Zeltleinen und Stangen: Besser, jetzt eine Minute dafür zu opfern, als fünf bei panischer Suche nach einem einzelnen Teil zu vergeuden. Er und Larsson trieben die Heringe in den Schnee. Als Nächstes nahmen sie die Leinen. Das Zelt war nagelneu und einfach zu handhaben. Unter normalen Umständen brauchte man für den Aufbau nur ein paar Minuten, doch der Sturm machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der Wind steigerte sich zu mörderischer Wucht, das Schneetreiben wurde immer dichter. Carver und Larsson waren stark und durchtrainiert. Sie wussten, was sie taten. Ihre Ausrüstung war erstklassig. Sie nahmen alle Kraft und Zähigkeit zusammen, um das ultraleichte Material festzubinden. Doch sie konnten der Macht der Elemente genauso wenig widerstehen, wie König Knut die Flut aufhalten konnte.
Der Schneesturm erreichte einen neuen Höhepunkt. Er erfasste das hellrote Nylonzelt und peitschte es in die Luft wie einen Drachen, dessen Aufstieg noch ein, zwei Sekunden zu verfolgen war, bevor es in dem alles verhüllenden Weiß verschwand.
Carver blickte ihm nach. Er gestattete sich einen kurzen, heftigen Wutanfall und richtete seinen Verstand sofort wieder auf das Problem, wie sie jetzt überleben konnten. Die Sicht verschlechterte sich mit jedem Augenblick. Schon ließen sich Gepäck und Skier, die nur zwei Meter weit wegstanden, kaum noch ausmachen, und Larsson war nicht mehr als ein Schatten hinter wirbelnden Schneeflocken.
»Hierher!«, schrie Carver.
Er fasste Larsson am Arm und zog ihn, gegen die starken Böen ankämpfend, mit sich zu ihrer Ausrüstung, die an der Felswand stand.
Dort hatten sich tiefe Schneewehen gebildet. Normalerweise würden sie ein anständiges Loch hineinschaufeln, das sie wie ein Iglu vor den Elementen schützen würde. Doch das würde zwei oder drei Stunden in Anspruch nehmen. Carver rechnete mit höchstens fünfzehn Minuten, bis sie dem eisigen Wind Tribut zollen müssten. Ihre einzige Hoffnung lag in einer offenen Höhle, die sie sich aus dem Schnee schaufeln mussten. Sie wäre zwar vorne weit offen, sie würde aber wenigstens ein bisschen Deckung geben.
Carver machte sich an die Arbeit und stach einzelne Blöcke ab, die aussahen wie weiß vereiste Schlackesteine. Inzwischen war er fast neun Stunden auf den Beinen. Das Letzte, was er zu sich genommen hatte, war der Mittagsimbiss aus Energiekeksen und Schokolade gewesen, für den sie keine Rast gemacht hatten. Ihm war kalt, er fühlte sich ausgetrocknet, er fror und schwitzte gleichzeitig. Er trug mehrere Schichten spezieller Hochgebirgskleidung, die Feuchtigkeit von der Haut wegleiteten, um den Körper möglichst trocken und warm zu halten. Er musste die Schutzhöhle in Rekordzeit bauen, doch die Schwäche machte ihn langsam, und jeder Schaufelhieb wurde zu einer Anstrengung.
Er brauchte keine klare Sicht, um zu erkennen, dass es Larsson nicht anders ging als ihm. Seine Bewegungen waren langsam und ineffektiv. Er drehte sich zu Carver, um ihn anzusehen. Seine Augen waren hinter einer Sonnenbrille verborgen, doch die Art, wie er Kopf und Schultern hängen ließ, verriet, dass er kurz davor war aufzugeben.
Carver ballte die Faust und schrie: »Los, weiter!« Er wusste nicht, ob er überhaupt zu hören war, doch der Sinn seiner Worte schien bei Larsson anzukommen. Der straffte sich einen Moment lang, dann wandte er sich wieder dem Schneeloch zu und mobilisierte die letzten Kräfte.
Eigentlich war Carver schon weit über das hinaus, was ein menschlicher Körper aushalten kann. Die Erschöpfung der Muskeln, der Sauerstoffmangel, der unaufhörliche Angriff des Windes und die heimtückische Kälte, die wie mit Tentakeln in seinen Körper eindrang, hatten sich zu einer alles umfassenden Qual vereint. Und um dieser ein Ende zu machen, brauchte er nur dem Verlangen nach Ruhe nachzugeben, sich zum Schlafen in den Schnee zu legen und sein Leben der gespenstisch weißen Umarmung zu überantworten. Doch es hat seinen Grund, weshalb die Ausbildung für den Special Boat Service die Steigerung von Schmerzen bis hin zu einem Ausmaß
Weitere Kostenlose Bücher