Samuel Carver 04 - Collateral
außerdem einig, dass es höchst unklug wäre, die Öffentlichkeit in Aufregung zu versetzen oder den internationalen Ruf Hongkongs zu gefährden, indem sie etwas verlautbarten, bevor die Täter identifiziert und, wenn möglich, gefasst waren.
Gegen zwei Uhr nachmittags kamen die ersten Ermittler, um den Pförtner Wu zu befragen. Wie Zhengs Leute wiesen sie ihn an, mit niemandem darüber zu sprechen, was er gesehen habe, wenn er wisse, was gut für ihn sei.
Die Drohung eines Staatsbeamten ist für einen Chinesen mindestens so Furcht einflößend wie die eines Gangsters. Denn kein Gangster hatte auch nur annähernd so viele Mitbürger auf dem Gewissen, wie im Lauf der letzten sechzig Jahre der Staatsmacht zum Opfer gefallen waren. Am selben Abend befahl Wu seiner Frau, die Habseligkeiten ihrer Familie zusammenzupacken. Am Montagmorgen bestiegen sie einen Zug und machten sich auf den Weg in ihr altes Fischerdorf, das dreihundert Kilometer entfernt an der Küste der Provinz Guangdong lag. Familie Wu hatte genug von Hongkong.
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Am Montagmorgen um Viertel nach sieben landete Carvers Flugzeug in Johannesburg. Sobald er die Einwanderungsbehörde und den Zoll hinter sich gebracht hatte, setzte er sich zu einem doppelten Espresso in ein Flughafencafé und nahm sein iPhone heraus. Er rief die Nachrichtenseite der BBC auf und suchte nach Schlagzeilen über Malemba.
Es dauerte nicht lange, und seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Tshongas friedliche Übernahme war mit einer Reihe von Massakern verhindert worden. Inzwischen gab es Gerüchte, es sei zeitgleich ein Anschlag auf das Präsidentenehepaar in dessen Haus in Hongkong verübt worden. Die Hongkonger Behörden machten dazu keine Angaben, aber weder der Präsident noch seine Gattin waren in den vergangenen zwei Tagen gesehen worden. Ein anglikanischer Pfarrer gab an, ihm sei gesagt worden, sie litten an einer Magenverstimmung, während Hongkonger Blogger behaupteten, das Ehepaar sei tot und die Behörden arbeiteten an einer Riesenvertuschungsaktion. Carver gefiel das sehr. Je mehr der Fall unter den Teppich gekehrt wurde, desto geringer die Chance, eine Verbindung zu ihm herzustellen.
Malemba wurde jetzt von einem selbst ernannten Nationalen Sicherheitskomitee regiert, einer Gruppe ranghoher Offiziere, die, solange die Wiedereinsetzung einer zivilen Regierung dauere, den Ausnahmezustand erklärt hatten. Seine Mitglieder weigerten sich ebenso wie die Hongkonger Behörden, die Gerüchte vom Tod des Präsidenten zu kommentieren. Sie zogen es vor, sich auf Patrick Tshonga zu konzentrieren, der als Verräter, Anarchist und Bedrohung des Friedens bezeichnet wurde. Er werde gnadenlos gejagt und bald umzingelt wie eine Ratte, erfuhr man von einem General. Für den folgenden Vormittag wurde eine Pressekonferenz angekündigt, wo das Komitee die Pläne für die Zukunft des Landes bekannt geben würde.
Der Zeitpunkt war geschickt gewählt, dachte Carver. Wenn Mabeki direkt nach Sindele geflogen war, musste er ungefähr zur gleichen Zeit gelandet sein wie Carver in Johannesburg. Er würde einen Tag brauchen, um seine Füße unter den Tisch zu bekommen, diverse Bestechungen und Erpressungen zu arrangieren, um allen seinen Willen aufzuzwingen und ein paar Hampelmänner als Regierung aufzustellen. Er würde auch entscheiden müssen, was er mit Zalika tun wollte. Vorausgesetzt, sie lebte noch.
Jedenfalls war Carver damit eine Frist gesetzt. Seine beste, vielleicht sogar einzige Chance, Mabeki zu töten und Zalika zu retten, würde er haben, solange Mabekis neues Regime noch nicht stand. Sobald der afrikanische Machiavelli wieder vollen Zugriff auf die staatliche Polizei hatte, würde er kaum noch zu erwischen sein. Es musste also sofort passieren.
Doch zuerst musste er mit Klerk sprechen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um zu überlegen, wie er es ihm am besten beibringen sollte. Am geschicktesten wäre es, wenn er dabei gleich feststellen könnte, ob Klerk den Plan verraten hatte oder nicht. Dann sprang ihm etwas ins Auge. Auf einem Nachbartisch, neben einigen benutzten leeren Kaffeetassen, lag eine Ausgabe des Johannesburg Star . Die Schlagzeile lautete: Blutbad in Sandton. Darunter stand: Zahl der Opfer durch Schießerei in Milliardärsvilla steigt auf sieben.
In Carver stieg eine üble Ahnung auf. Er griff hinüber nach der Zeitung. Zwei Minuten später hatte er Sonny Parkes am Apparat.
»Hier Carver«, sagte er. »Wir müssen uns treffen.
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