Samuel Carver 04 - Collateral
Bowen-Erikson-Papieren aus der Jacken- in die Hosentasche und zog die Jacke und den Kragen aus. Kurz lauschte er, ob der Waschraum noch leer war, dann verließ er die Kabine, stopfte seine Verkleidung in einen großen Drahtkorb neben dem Waschbecken und verdeckte sie mit Papierhandtüchern aus dem Spender an der Wand darüber.
Als er die Bar verließ, zog er nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich als beim Betreten. Unterdessen überlegte er, ob er sich auf die Suche nach Mabeki machen sollte, verwarf den Gedanken aber. Mabeki war längst in den Wohnblocks verschwunden oder, was viel wahrscheinlicher war, mit einem der Boote im Hafen. Wo er sich aufhielt, war allerdings auch Zalika. Carver glaubte nicht, dass Mabeki sie töten würde, jedenfalls nicht bevor er sich auf ihre Kosten mit ihr vergnügt hatte. Und das würde er nicht in Hongkong tun, nicht wenn Arbeit auf ihn wartete; schließlich wollte er in Malemba die Macht an sich reißen.
Mabeki hatte ohne jeden Zweifel über das Attentat Bescheid gewusst und auch, dass Carver und Zalika es gemeinsam begehen würden. Folglich war ihm auch der Plan des Staatsstreichs bekannt gewesen. Carver war bereit, jeden Cent seiner Auslandskonten darauf zu wetten, dass der Staatsstreich fehlgeschlagen oder zumindest gestört worden war.
Jemand hatte Mabeki den ganzen Plan verraten, jemand, der bereit war, Carver und Zalika ans Messer zu liefern. Aber wer? Hatte Klerk ihm etwas vorgemacht, als er den liebevollen Onkel gab? Hatte Mabeki ihm ein besseres Geschäft als Tshonga angeboten? Hing Klerk mehr am Geld als an seiner Familie? Carver wollte das nicht glauben, aber er hatte schon am eigenen Leib erfahren, dass manche Menschen mehr Wert auf Geld als auf menschliche Zuneigung legten. Und wie stand es mit Tshonga? Hatte er Klerk nur benutzt, ihn mit der Aussicht auf leichtes Geld an der Nase herumgeführt, während er in Wirklichkeit mit Mabeki gemeinsame Sache machte? Ein Bündnis mit Gushungos rechter Hand verstieß gegen sämtliche Prinzipien, die Tshonga je öffentlich geäußert hatte. Aber wenn er fest entschlossen war, Malemba zu regieren, mochte das ein geschickter, wenn auch zynischer Schachzug sein.
Wie auch immer, die Lösung des Rätsel war vermutlich dort zu finden, wo Moses Mabeki jetzt hinreiste und wo er Zalika Stratten gefangen halten würde, bis er ihrer überdrüssig war: in Malemba. Carver blieb nichts anderes übrig. Er musste ebenfalls dorthin und sei es auch ohne jede Unterstützung. Er überlegte, Klerk und Tshonga anzurufen, entschied sich aber dagegen. Wenn einer von beiden ein doppeltes Spiel trieb, sollte er tunlichst nicht verraten, dass er unterwegs war.
Als er wieder auf die Straße trat, schlug er den Weg zur Hafenpromenade ein. Dort winkte er einem Taxi, das gerade Touristen abgesetzt hatte.
»Fahren Sie mich zum Flughafen«, sagte er.
74
Es war zeitlich äußerst knapp gewesen, aber zwei von Fischer Zhengs Leuten, die nicht gezögert hätten zu schießen, war es buchstäblich in letzter Sekunde gelungen, Zalika Stratten in den Lieferwagen vor dem Haus zu verfrachten, bevor Carver an der Tür erschien. Und der Engländer hatte wie erhofft den entscheidenden Fehlschluss gezogen und war dem Handysignal gefolgt. Er hatte ihn über die landschaftlich schöne Route Twisk hinter sich her kurven lassen, während der Lieferwagen den schnellsten Weg von den Hon Ka Mansions nach Aberdeen nahm.
Zhengs Leute waren in den Hafen an den Kai gefahren, hatten Zalika Stratten über eine Kaitreppe auf ein kleines Motorboot gebracht, das schaukelnd auf dem Wasser wartete. Ihre alberne Sonnenbrille hatte sie verloren, ihre Haare hingen ihr wirr um die Schultern. Sie sah wieder mehr wie sie selbst aus, aber billiger gekleidet als sonst.
Das Boot war unter vielen Ausweichmanövern durch die enge, stark befahrene Wasserstraße zwischen Aberdeen und Ap Lei Chau gebrettert und hatte längsseits am Rumpf einer Sunseeker Predator 52 angelegt, die abseits des Aberdeener Jachthafens ankerte. Dort war Zalika von bewaffneten Männern übernommen worden.
Das Motorboot war abgefahren, um fünfzehn Minuten später mit Moses Mabeki zurückzukehren.
Die Sunseeker lichtete den Anker, glitt durch den Hafen, und als sie das offene Meer erreichte, gab der Kapitän Gas. Mit dreißig Knoten fuhr sie nach Westen auf das ehemals portugiesische Macau zu.
Die Jacht war eines der Lieblingsspielzeuge von Fischer Zheng, und dieser kurze Ausflug machte ihm besonderen Spaß. Er hatte einen
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