Samuel Carver 04 - Collateral
erklärte Morrison und hielt vor dem heruntergekommenen Nachbau eines amerikanischen Motels. »Dieses Ding hier wird reichen müssen. Aber keine Sorge, Sie bleiben nicht lange.«
Morrison marschierte in eine Lobby, deren mintgrüner Anstrich vom Schimmel schwarz gefleckt war. Dem Mann an der Rezeption knallte er ein paar forsche, überzeugende Sätze an den Kopf, dann brachte er Carver zu seinem Zimmer.
»Werfen Sie Ihr Zeug da rein, dann hauen wir ab in die Stadt«, sagte er und blieb an der Tür stehen, während Carver hineinging und seine Tasche auf das alte, durchgelegene Bett legte, das unter einem schmuddeligen Moskitonetz stand. »Sie brauchen was Anständiges im Magen. Ich brauche Zigaretten. Wir werden uns das Nachtleben zu Gemüte führen. Dann schlafen Sie ein paar Stunden, würde ich vorschlagen. Um Punkt fünfzehn Uhr starten wir.«
Als Carver das Zimmer verlassen wollte, trat Morrison ihm in den Weg und hielt ihn mit einer Hand an der Brust auf.
»Ich will, dass Sie mir etwas versprechen,«, sagte er ohne einen Hauch von Ironie. »Versprechen Sie mir, schwören Sie beim Leben Ihrer Mutter –«
»Ich habe keine Mutter.«
»Dann eben bei ihrem Grab, ist mir egal. Aber schwören Sie, dass Sie das Mädchen lebend rausholen. Hier ist Afrika, hier gibt’s keine Verhandlungen, nur töten und getötet werden. So war es immer. Diese Entführer würden das Mädchen niemals herausgeben, niemals. Sie haben vor, sich das Geld zu schnappen und sie dann umzubringen. Also holen Sie sie raus, Mr. Carver. Wenn Sie das nicht tun, glauben Sie mir, wird sie sterben.«
11
Der Hubschrauber verließ Tete in nordöstlicher Richtung und folgte dem Sambesi stromaufwärts zum Cahora-Bassa-Stausee. Anfangs floss der Strom träge dahin, an manchen Stellen anderthalb Kilometer breit. Dann nahm das Gefälle zu, der Strom wurde schmaler, das Wasser floss schneller. Das Tal wurde enger, die Berge rechts und links höher, dann ragten steile Felswände mehrere hundert Meter hoch auf, an deren Fuß das Wasser brodelte und schäumte. Einige seiner Stromschnellen verschwanden unter Gischt und Dunst. Der Hubschrauber flog eine Zeit lang hoch über dem Fluss, dann schwenkte er hinab und tauchte zwischen die Steilfelsen der Schlucht, eine stählerne Libelle, die dicht über das Wasser sauste, sich mal auf die rechte, mal auf linke Seite legte, um den Biegungen des Flussbetts zu folgen.
Carver wollte so schnell und diskret wie möglich anfliegen, und die unbewohnte, unzugängliche Schlucht bot eine Route, die direkt zu seinem Ziel führte, ohne dass er von neugierigen Augen beobachtet werden konnte. Allerdings war die Gefahr, unterwegs draufzugehen, ungleich größer. Wenn der Rotor eine Felswand, die Kufen einen aus dem Wasser ragenden Stein streiften, würden er, Morrison und der Pilot ins Grab trudeln. Doch er war schon mit vielen Hubschraubern in absurd niedriger Höhe geflogen und oft unterwegs zu Einsätzen, wo die Überlebenschancen gegen null gingen. Es war gar nicht mal so, dass er keine Angst hatte, er hatte nur gelernt, sie auf Distanz zu halten, unter Verschluss im Hinterkopf, während seine bewussten Gedanken auf die vorliegende Aufgabe gerichtet waren.
Flattie Morrisons Zigarette klemmte an einem Ende seines Krokodillächelns, das noch breiter gefletscht war als sonst.
»Das ist das Leben, he?«, rief Morrison durch das Rattern der Rotoren, das in der Schlucht umso lauter schallte. »Komme mir vor wie in den alten Zeiten! Scheiße, Mann, je näher ich dem Gevatter komme, desto lebendiger fühle ich mich. Wissen Sie, was ich meine?«
Carver sagte nichts, aber konnte es nicht bestreiten. Keine Aufregung im Leben war so adrenalingeladen wie angesichts des Risikos, als unauffindbare Leiche zu enden. Aber auch dieses Gefühl musste man zurückdrängen. Jedes Quäntchen nervöser Energie musste für den Moment aufgespart werden, wo sie am dringendsten gebraucht wurde.
»Klar wissen Sie das«, sagte Morrison. Er sah auf die Uhr. »Jetzt dauert’s nicht mehr lange. Wenn Sie alles noch mal überprüfen, den Plan noch durchgehen wollen, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.«
Sie gingen den Ablauf der nächsten neun Stunden noch einmal durch. Der Erfolg des Einsatzes hing von perfekter Koordination ab: von dem zeitgleichen Eintreffen zweier Elemente an einem vereinbarten Punkt, einem sekundengenauen Zusammenspiel.
»Okay«, sagte Morrison, nachdem die Einzelheiten bestätigt waren. »Eins noch: Wenn etwas schiefgeht
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