Samuel Carver 04 - Collateral
guten Händen war, lehnte er sich zurück und schaute sich um. Am Rückspiegel hing ein Rosenkranz mit einer Christophorusmedaille und dem Foto einer lachenden Frau, die zwei kleine Kinder im Arm hatte, einen Jungen und ein Mädchen, beide in ordentlichen, weißen Schulhemden.
»Ihre Familie?«
»Oh ja«, sagte Justus, und sein warmes Lächeln verriet, welches Glück er empfand. »Das ist meine Frau Nyasha, die mich jetzt schon seit zwölf Jahren mit ihrer Zuneigung beglückt, und mein Sohn Canaan – er ist acht – und meine Tochter Farayi; sie ist sechs.«
»Zwei großartige Kinder, scheint mir. Sie sind ein glücklicher Mann.«
»Ja sehr glücklich. Haben Sie Familie, Mr. Carver?«
»Nein, noch nicht.«
»Sie haben also noch nicht die richtige Frau zum Heiraten gefunden?«
Carver verzog das Gesicht. »Zweimal dachte ich, ich hätte sie. Hat nicht ganz geklappt.«
»Das ist traurig«, meinte Justus kopfschüttelnd. »Eine gute Frau zu haben, die einem kräftige, gesunde Kinder schenkt, ist die größte Befriedigung, die ein Mann haben kann. Wissen Sie, manchmal wenn ich müde bin, weil ich zu lange gearbeitet habe oder weil mir der Job keinen Spaß macht, den ich erledigen soll, dann frage ich mich: Warum tue ich das? Und dann sehe ich auf das Foto und weiß es. Ich tue es für sie.«
»Wo leben Sie?«
»Ich habe eine kleine Farm, ungefähr zwanzig Meilen von Buweku entfernt. Die Landschaft dort ist sehr schön: sanfte Hügel und so grün, dass mein Vieh fett wird wie die Flusspferde. Der Boden ist so fruchtbar, dass man die Saat nur hinzuwerfen braucht. Da wächst alles. Zurzeit baue ich ein Haus. Es wird bald fertig sein. Dann gehe ich zu meiner Frau und sage: Ich habe dir viele Zimmer gegeben, nun gib du mir viele Kinder, um sie zu füllen!«
Carver lachte mit Justus. Er bewunderte und beneidete ihn um seine unkomplizierten Auffassungen, nach denen er sein Leben zu führen schien. Carver würde in dieser einen Nacht wahrscheinlich mehr verdienen als Justus in seinem ganzen Leben. Doch das machte ihn nicht reicher an den Dingen, die wirklich zählten.
Er wischte den Gedanken beiseite wie eine lästige Fliege. Er hatte sich jetzt mit unmittelbareren Problemen zu befassen und nicht an Frau und Kinder zu denken, die er nicht hatte.
Auch Justus wandte sich wieder seinen Pflichten zu. Er fuhr an den Straßenrand und sagte: »Wir sind jetzt nah bei Chitongo, und es ist wichtig, dass Sie keiner ankommen sieht.« Er drehte sich in seinem Sitz und deutete in den Fond des Wagens. »Bitte legen Sie sich da hinten auf den Boden, Mr. Carver. Ich habe eine Decke bereitgelegt, damit Sie darunter verschwinden können.«
»Okay.«
Eine Minute später ging es schon weiter. Samuel Carver wurde unter einer alten karierten Picknickdecke kauernd in die Schlacht gefahren.
12
Zalika Stratten wusste längst nicht mehr, wo sie war. Vor zwei Tagen hatte sie gemeint, Stimmen zu hören, die Portugiesisch sprachen. Das ließ vermuten, dass sie sich irgendwo in Mosambik befand. Doch ihre unmittelbare Umgebung änderte sich nicht: Sie lag auf einer ähnlichen Matratze in der Ecke eines ähnlichen Raumes, wo ein ähnlicher deckelloser Eimer stand, auf den sie sich hocken konnte. Die Fenster waren zugenagelt, und die Tür in der Mitte der Wand gegenüber ihrer Matratze war abgeschlossen, und davor war ein Wächter postiert. An dem Draht, der aus der Decke kam, hing keine Glühbirne. Das einzige Licht kam durch die Ritzen zwischen den Brettern am Fenster.
Man hatte ihr die Füße zusammengekettet und dazwischen gerade so viel Abstand gelassen, dass sie durch das Zimmer schlurfen konnte, aber anständig gehen ließ sich damit nicht, und rennen schon gar nicht. Die Jeans und die Schuhe hatte man ihr weggenommen. Sie trug nur das T-Shirt und die Unterwäsche, die sie bei ihrer Entführung angehabt hatte.
Man gab ihr zwei Mahlzeiten am Tag, einen Brei aus Maismehl, der ab und zu leicht gesalzen war, gebratenen grätigen Fisch oder einen Teller Schmortopf, wo knorpeliges Fleisch in Fett schwamm. Von Zeit zu Zeit bekam sie eine Plastikschüssel mit kaltem Wasser und ein Stück hellgraue Seife, um sich zu waschen. Sie tat ihr Bestes, doch ihre Haare blieben fettig und schmutzig. Sie hatte schwarze Ränder unter den Fingernägeln und einen juckenden Schweißfilm auf der Haut.
Wie Flugpassagiere auf Langstreckenflügen nicht merken, wie widerlich die Luft an Bord ist, so roch auch Zalika schon lange nicht mehr, wie stark es in ihrer
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