Samuel Carver 04 - Collateral
Gushungos und ihrem Vikar abläuft.«
»Ihre nächste Kirche ist die St. George’s in Tai Po. Der Vikar dort ist ein Schotte namens Simon Dollond. Er ist Mitte vierzig und sehr beliebt in seiner Gemeinde, bei den Briten und den Chinesen. Er war nicht gerade begeistert, als er feststellte, dass Henderson und Faith in seinen Zuständigkeitsbereich gezogen waren.«
Zalika breitete die Einzelheiten mit derselben Effizienz aus wie schon bei dem Briefing über Malemba, das sie in Klerks Haus in Suffolk abgehalten hatten. Und Carver fand es erneut verblüffend, wie sie von einem Augenblick auf den andern die Stimmung, man konnte fast sagen, ihr ganzes Wesen wechselte. Er beschloss, das noch einmal zu testen. Als sie mit Reden fertig war, zog er sie an sich und gab ihr einen langen, leidenschaftlichen Kuss. Ohne ersichtliche Schwierigkeiten schaltete sie auf seine Laune um.
»Mmmm«, machte sie genießerisch, als er sich von ihr löste. »Das war schön. Wieso bist du plötzlich so romantisch?«
»Nur damit unsere Tarnung glaubwürdig ist«, antwortete er trocken.
»Oh, ich verstehe«, sagte sie. Dann runzelte sie die Stirn. »Aber bist du sicher, dass das schon reicht? Vielleicht haben das nicht alle Leute gesehen.«
»Du hast recht. Lieber auf Nummer sicher gehen.«
Nach dem zweiten Kuss fragte er: »Wieso kennst du dich mit dieser Kirche so gut aus?«
»Ganz einfach. Immer wenn ich in Hongkong war, bin ich in die St. George’s gegangen. Da gibt es nach dem Gottesdienst Kaffee und Plätzchen, was ein echter Anreiz für die alten Leutchen ist, jede Woche hinzugehen, weil sie dann miteinander tratschen können. Nachdem sie sich daran gewöhnt hatten, dass ich auch hinkam, quatschten sie wie immer, und dabei erfuhr ich alles über den lieben Simon und die bösen Gushungos, und sie konnten es kaum erwarten, mir wieder das Neuste zu erzählen.«
»Alte Damen«, meinte Carver, »sie sind die besten Spione der Welt.«
»Nicht für dich. Herren waren da nicht zugelassen.«
»Na, dann danke ich, dass du die schwesterliche Verschwiegenheit brichst. Jetzt habe ich eine Frage an dich: Kannst du am Telefon klingen wie eine schwarze Malemberin?«
»Kommt drauf an, mit wem ich telefonieren soll. Ein Malember würde es sofort merken. Aber ein Brite oder ein Chinese bestimmt nicht. Ich habe mein Leben mit malembischen Nannys, Köchinnen und Hausmädchen verbracht. Ich weiß, wie die sich anhören.«
»Gut, das hatte ich gehofft.«
»Wieso?«
»Weil du den netten Reverend Dollond am Sonntagmorgen anrufen sollst.«
»Oh, bei dem wird das ganz einfach. Und jetzt habe ich etwas für dich. Oder vielmehr: jemanden.«
Zalika schickte eine SMS ab. Sekunden später stand eine Chinesin in der unauffälligen Allerweltskleidung Jeans und T-Shirt von einer Bank auf, die auf der anderen Seite des Decks stand, und kam zu ihnen an die Reling, ohne sich scheinbar im Geringsten für sie zu interessieren.
»Ich habe, was Sie brauchen«, sagte Tina Wong und blickte gerade aus über den Hafen.
Carver und Zalika schaute in dieselbe Richtung – drei Leute, die zufällig nebeneinanderstanden und das Panorama bewunderten.
Vom Körper verdeckt übergab Wong einen gepolsterten Din-A4-Umschlag und sagte, ohne Blickkontakt aufzunehmen: »Sie wollen die Schweine also kaltmachen?«
Carver antwortete nicht.
Sein Schweigen schien sie nicht zu enttäuschen. Zum ersten Mal drehte sie den Kopf in seine Richtung, blickte ihn einen Moment lang durchdringend an, dann wandte sie sich ab und sagte nickend: »Ja, Sie können das. Gut.«
»Werden Sie am Sonntag arbeiten?«, fragte Carver.
Wong nickte.
»Dann sorgen Sie kurz vor dem Hausgottesdienst dafür, dass die Haustür unverschlossen ist. Kriegen Sie das hin?«
»Natürlich.«
»Gut. Und danke hierfür.« Carver deutete mit dem Kopf auf Zalikas Schultertasche, die jetzt den Umschlag enthielt. »Das ist sehr wichtig.«
»Kein Problem. Okay, genug Sightseeing. Es ist unter meiner Würde, wie eine Touristin auszusehen.«
Wong ging so unauffällig, wie sie gekommen war.
»Bist du sicher, dass du weitermachen willst?«, fragte Carver. »Versteh mich nicht falsch – ich stelle nicht deine Fähigkeiten in Frage. Es könnte nur ziemlich übel werden. Du hast schon genug Gewalt und Tod in deinem Leben erfahren müssen. Willst du davon noch mehr?«
Ihre Antwort kam ohne Zögern, ohne den Hauch eines Zweifels in der Stimme. »Ja, das will ich. Ich will sehen, was du getan hast. Ich will auf ihre Leichen
Weitere Kostenlose Bücher