Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Samuel Carver 04 - Collateral

Samuel Carver 04 - Collateral

Titel: Samuel Carver 04 - Collateral Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Cain
Vom Netzwerk:
spucken. Auf jede einzelne.«
    »Also gut. Aber du hältst dich genau ans Drehbuch.«
    »Jawohl, Sir.«
    »Und ich besorge dir ein Telefon mit Peilsender, damit ich weiß, wo du bist, falls wir getrennt werden.«
    »Wie du willst.«
    »Und wenn mir etwas passiert, wartest du nicht ab, ob ich wieder auf die Beine komme, klar? Du fährst sofort zum Flughafen. Da geht um fünf nach drei ein Direktflug nach London. Geh an Bord und flieg nach Hause.«
    »Klar.« Sie schob den Arm um seine Taille und sah ihn gedankenvoll an. »Danke, dass du mir das zutraust. Mein Onkel hat recht. Du bist ein guter Mann, Samuel Carver.«

53
    Der Fischmarkt in Aberdeen war verlassen, die letzten Spuren vom Fang des Vortags zusammengekehrt und weggespült, doch der Fischgeruch hing in der Luft, als sickerte er aus den Poren des Betonbodens, der lackierten Stahlsäulen und Tragbalken und des rostigen Eisendachs. Zheng Junjie, den man früher einmal als Johnny Zen kannte, stand unter den nackten Neonröhren am Verkaufsstand seiner Familie und zog nervös an einer Zigarette. Er schien um die Mitte ein bisschen weich geworden zu sein, seit Moses Mabeki ihn zuletzt gesehen hatte. Vielleicht aß er zu viel Hausmannskost bei seiner Frau oder, was wahrscheinlicher war, ging zu oft mit seiner Geliebten essen. Eine niedliche junge Konkubine war für einen Hongkonger Geschäftsmann ein unerlässliches Accessoire auf seinem Weg an die Spitze.
    Mabeki hatte von Tai Po aus ein Taxi genommen und den Fahrer angewiesen, ihn ein Stück vom Fischmarkt entfernt abzusetzen, an einem der Hochhausapartmentblocks, die auf dem engen Raum zwischen den Hügeln von Hong Kong Island und dem Meer dicht an dicht aufragen. Dort wohnten die meisten der ortsansässigen Tanka und Hoklo, die jahrhundertelang in schwimmenden Dörfern aus Dschunken und Booten gelebt und gearbeitet hatten. Inzwischen waren ihre Nachkommen blasse Bauunternehmer, bei denen sich das pastellfarbene Ralph-Lauren-Polo über dem wabbeligen Bauch spannte. Aber war es in seiner Heimat so anders?, dachte Mabeki. Sein Volk hatte einmal aus Viehzüchtern und Kriegern bestanden, die so weit durch die Savanne zogen, wie sie wollten. Jetzt waren die meisten glücklich, wenn sie ein kaltes Bier und ein T-Shirt von Manchester United hatten. Es war der grausamste Trick der Weißen, dass sie nicht eroberten oder versklavten, sondern bei jeder Kultur, in die sie eindrangen, die Menschen verweichlichten und verdarben, bis sie nicht mehr den Willen aufbrachten, sie selbst zu sein.
    Mabeki näherte sich Zheng unbemerkt bis auf zehn Meter. Er sah ihn die Zigarette aus dem Mund nehmen, wegwerfen und mit dem Absatz zertreten. Zheng sah sich um, blickte auf die Uhr, sah sich wieder um. Er wirkte nicht wie ein Mann, der im Begriff stand, eine harte Verhandlung zu führen. Er sah eher wie ein jemand aus, der sich ängstlich fragte, wie er seinem Boss erklären sollte, dass er ihn gerade enttäuscht hatte.
    Mabeki ließ ihn noch einen Moment lang schwitzen, dann trat er aus der dunklen Ecke hervor und ging zwischen den gelben und blauen Plastikcontainern hindurch, aus denen der Fisch des nächsten Tages verkauft werden würde. Er streifte absichtlich einen mit dem Fuß. Zheng fuhr herum und sah seinen alten Kommilitonen herankommen.
    Im Lauf der Jahre hatte Mabeki bei den Leuten die verschiedensten Reaktionen auf seine Entstellung erlebt, und Zheng bot ein klassisches Beispiel. Innerhalb weniger Sekunden wechselte sein Gesicht mehrmals den Ausdruck. Bei dem unerwarteten Geräusch war er zuerst alarmiert, dann erleichtert, als er sah, dass es Mabeki war, dann schockiert und abgestoßen und schließlich, nach innerem Ringen, teilnahmslos und nichtssagend.
    »Hallo, Johnny«, sagte Mabeki.
    »Moses.«
    Sie schüttelten sich die Hand. Mabeki sah zu, wie Zheng sich bemühte, eine sichere, höfliche Stelle zu finden, wo er hingucken konnte, und zog ein perverses Vergnügen daraus. Die Leute konnten sich meistens nicht bezwingen und schauten immer wieder auf die Narbenwülste, egal wie sehr es sie abstieß; das hatte er schon so oft erlebt. Er kannte auch die Fragen, die sie zu gerne stellen wollten, wusste, welche sprachlichen Verrenkungen sie dazu anstellten.
    Zheng machte es besser als die meisten. »Ich sehe, was du meinst«, sagte er. »Du hast dich verändert. Darf ich fragen, was passiert ist?«
    »Ich wurde angeschossen. Mit einer 9 mm Parabellum. Die Kugel ging aus nächster Nähe quer durch den Unterkiefer. Der Mann hat

Weitere Kostenlose Bücher