Samuel Carver 04 - Collateral
standen.
Im Innern des Sendehauses beobachtete ein Major vom Fallschirmjägerbataillon aus einem Fenster im ersten Stock, was im Hof vorging. Er hielt ein Sprechfunkgerät an den Mund und sprach sehr leise in das Mikrofon, worauf ein Dutzend Fenster hochgeschoben wurden. In jedem erschien eine Mündung.
»Feuer frei«, sagte der Major.
Madziko sah die Bewegung der Fensterrahmen sofort, doch die totale Bestürzung über die bevorstehende Katastrophe raubte ihm zwei entscheidende Sekunden. Zu spät drehte er sich zu seinem Schützen um, zeigte auf die dunklen Flecken in der Fassade, die durch die verdoppelten Scheiben entstanden, und brüllte: »Die Fenster! Feuern!«
Bis das erste Maschinengewehr zielte, hatten die Granatwerfer ihre Granaten schon abgefeuert. Einen Sekundenbruchteil später waren die Spähwagen vernichtet. Die Wucht der Explosion und die rasiermesserscharfen Splitter rissen Madziko und seine Männer in Stücke. In einer Zeitspanne, die man braucht, um eine Mücke zu zerquetschen, starben sie und mit ihnen alle Hoffnung auf einen gewaltlosen Staatsstreich.
Der Hinterhalt wurde mit der gleichen Endgültigkeit am Parlamentsgebäude, der Zentralbank, der Polizeizentrale und am Sitz des Präsidenten wiederholt. Überall wo Patrick Tshongas Truppen hinkamen, wurden sie von Regierungstreuen in Empfang genommen. Die Rebellen, die auf das Überraschungsmoment gesetzt hatten, erlebten selbst eine grobe und abschließende Überraschung.
67
Mabeki wollte nicht zur Grenze. Er verließ den Highway an der nächsten Kreuzung, bog scharf links ab und fuhr nach Südwesten. Er fuhr gleichmäßig und nicht allzu schnell.
Unter der angespannten Konzentration biss Carver unbewusst die Zähne zusammen. Wo wollte Mabeki hin? Er rief sich den Stadtplan von Hongkong ins Gedächtnis, und die Bücher, die er gelesen hatte. Ein Name fiel ihm ein: Shek Kong, eine ehemalige Basis der Royal Airforce, die jetzt teilweise von den chinesischen Luftstreitkräften benutzt wurde. Dort war privater Flugverkehr gestattet, auf dem internationalen Flughafen nicht. Wenn Mabeki für sich einen Flug arrangiert hatte, mit dem er Hongkong schnell verlassen konnte, dann höchstwahrscheinlich in Shek Kong.
Mabeki war drei Minuten vor ihm, schätzte Carver. Wenn ein aufgetankter Jet für ihn bereitstand, war das mehr als genug Zeit, um auf das Rollfeld zu fahren, die Treppe hinaufzurennen, die Tür zu schließen und loszurollen. Carver war nicht erpicht darauf, schneller zu fahren, aus verschiedenen Gründen. Unter anderem wollte er nicht in die Fänge der Justiz geraten, nur weil er eine Geschwindigkeitsbegrenzung missachtet hatte. Doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Er musste den Abstand zu Mabeki verringern.
Die Mechaniker des Autohauses hatten gute Arbeit geleistet. Der Honda mochte wie eine Schrottkarre aussehen, doch er hatte genau die Beschleunigung, die ihm nachgesagt wurde, die Steuerung war präzise und die Federung hart. Carver hatte Spaß, als er Gas gab und das ärgerliche Brummen des hochgejagten, frisierten Motors hörte, mit dem er auf dem Highway in die Lücken sprang, um schließlich nach links auf eine mit gelben Warnstreifen versehene Abbremsspur auszuscheren.
Am Ende der Ausfahrt gab es einen Kreisverkehr. Carver bog nach links in eine Straße ein, die durch einen dünn besiedelten Vorort und dann aufs Land führte. Für anderthalb Kilometer folgte sie einem Tal zwischen zwei Bergketten. Die Straße war anspruchslos befahrbar, lange gerade Strecken mit einigen sanften Kurven, die er schneiden konnte. Er hatte keine Mühe, die Geschwindigkeit von 130 km/h zu halten, ging manchmal bis auf 160, um langsamere Fahrzeuge zu überholen und Laster, Busse und voll besetzte Familienautos hinter sich zu lassen.
Er musste die Geschwindigkeit ein wenig drosseln, als er wieder in bebautes Gebiet kam. Dort gab es einen weiteren Kreisverkehr. Die Straße nach Shek Kong war die zweite Ausfahrt. Er brauchte ein paar Sekunden, um zu erfassen, dass Mabeki sie nicht genommen hatte. Er war die erste links rausgefahren, die zurück nach Süden führte, nach Kowloon. Und er hatte sich damit für die schönste und gefährlichste Strecke in ganz Hongkong entschieden: für die Route Twisk.
Sie war in den frühen Fünfzigern von den britischen Pionieren gebaut worden, um den Hauptstützpunkt der Streitkräfte in Castle Peak im Stadtteil Tsuen Wan mit der Royal Air Force in Shek Kong zu verbinden. Die Straße war in den
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