Samuel Carver 04 - Collateral
ihrem Leibwächter eingeklemmt lag, wimmerte leise und unternahm eine letzte Anstrengung, um nach der leblosen Hand ihres Gatten zu greifen.
Carver hörte eilige Schritte die Treppe herunterkommen. Es folgte ein spitzer Schrei, dann fielen zwei Schüsse; der nächste Schrei klang nach einem Verletzten; es folgten zwei weitere Schüsse.
Es waren noch drei Frauen am Leben gewesen. Mindestens zwei davon waren jetzt tot. Aber welche?
Carver ging mit schussbereiter Pistole an den zuckenden, röchelnden Leibwächtern vorbei zur Wohnzimmertür. Eine Hand schloss sich um sein Fußgelenk. Er verlor das Gleichgewicht und stieß sich die Knie auf, als er auf dem harten Marmor landete. Er drehte den Kopf und sah, dass einer der Sterbenden ihn mit letzter Kraft festhielt. Carver trat mit dem freien Fuß zu und traf die Nase, die knackend brach. Er hörte das Röcheln, als der letzte Atem aus der Lunge wich. Der Mann war tot, aber er ließ nicht los. Die toten Finger hatten Carver fest im Griff.
Dann sah er einen Schatten an der Wand neben der Tür, als Mabekis Kopf kurz im Türrahmen auftauchte und wieder verschwand. Carver gab zwei schnelle Schüsse auf den Durchgang ab, dann wand er sich hektisch am Boden, um seine Position zu verändern, bis Mabekis Waffenhand erschien.
Mabeki schoss viermal hintereinander. Eine Kugel durchschlug das große Wohnzimmerfenster, zwei furchten die Marmorfliesen, eine ging so dicht an Carver vorbei, dass er die nadelspitzen Steinsplitter an der Wange spürte. Die vierte traf den kahlen Kopf des Toten, der Carver festhielt, drang über der Nase ein und trat am Hinterkopf wieder aus.
Die tote Hand öffnete sich ruckartig.
Carver sprang auf, rannte zur Wand neben der Tür und drückte sich mit dem Rücken dagegen. Die neu erlangte Waffe neben sich in Kopfhöhe schob er sich auf die Tür zu.
In dem Moment hörte er ein einzelnes Wort: »Carver!«
Zalika lebte!
Er hörte Füße auf dem glatten Marmor scharren, die nach Halt suchten. Jetzt war Eile angesagt. Er gab das vorsichtige Vorgehen auf und sauste zur Tür, warf sich in den Flur und rollte zur Seite, sodass Mabeki danebenschoss.
Carver kam neben der toten Tina Wong zu liegen. Sie lag neben dem zweiten Hausmädchen. Ihre Blutlachen waren ineinandergeflossen. Wongs Augen standen offen und klagten ihn stumm an: Ihretwegen bin ich jetzt tot.
Er blickte auf und legte an. Mabekis Silhouette zeichnete sich gegen das Licht in der offenen Haustür ab. Carver zielte auf ihn. Genauer gesagt zielte er auf Zalika Stratten, die vor Mabeki stand, mit dem Hals in seiner Armbeuge.
Ihr Blick wirkte benommen. Sie hatte eine Platzwunde an der Schläfe. Zehn Jahre nach ihrer Entführung hatte Moses Mabeki sie wieder in seiner Gewalt. Und diesmal hatte Carver keine freie Schusslinie und keine Antwort, als Mabeki krächzte: »Wenn Sie schießen, stirbt sie. Wenn Sie mich verfolgen, stirbt sie.«
Zalika war still. Aber Carver sah sie stumm die Lippen bewegen: »Hilf mir ... hilf mir!«
Carver lag auf den kalten Marmorfliesen an der vulgären Tapete, neben sich das Blut der beiden toten Frauen. Er fluchte innerlich. Warum hatte er sich darauf eingelassen, einen Amateur, wie fähig auch immer, bei einem so wichtigen Auftrag mitzunehmen? Aufgewühlt von hilfloser Wut, gelähmt vor Angst um die Frau, die er hätte schützen sollen, rührte Carver keinen Muskel, als Mabeki seine Geisel durch die Tür zwang. Erst als er zwei Wagentüren knallen hörte und ein Motor angelassen wurde, kam er vom Boden hoch, sprang über die beiden Toten in den blutgetränkten grauen Kleidern hinweg und stürmte durch den Flur nach draußen.
65
Während Carver aus dem Haus rannte, drückte er auf seinem Handy auf Senden und schickte das O. K.-Zeichen an die Nummer, die er zu dem Zweck bekommen hatte. Er kam sich vor wie ein Lügner. Ja, die Gushungos waren tot. Aber das war auch die einzige gute Nachricht. Alles andere ging völlig daneben.
Draußen verließ der Rolls-Royce den Vorplatz, aber keineswegs mit der halsbrecherischen Geschwindigkeit, die Carver bei einem flüchtenden Kidnapper erwartet hätte. Er wartete eine Sekunde ab, als ein kleiner weißer Lieferwagen mit chinesischen Schriftzeichen an der Grundstückseinfahrt vorbeizockelte und außer Sicht geriet. Der Rolls fuhr in gemächlichem Tempo an. Dennoch war es nur eine Frage von ein, zwei Sekunden, dann würde Mabeki links abbiegen und hinter dem Kleinbus her den Hügel hinunterfahren, um zum Haupttor der Wohnanlage
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