Samuel Koch - Zwei Leben
darüber! Wir durften feststellen, dass die Sensationslust in den Hintergrund getreten ist.â
Dennoch war das Medieninteresse riesig und nicht immer so respektvoll wie beschrieben. âAls man Samuel zur neurologischen Abteilung brachte, musste er an den Glastüren vorbeiâ, berichtet mein Vater. âJust in diesem Augenblick hob er seinen rechten Arm und sagte zu mir: âSchau mal, was ich kann!â Für mich war das ein ungeheuer intensiver und wichtiger Augenblick. Es störte mich, dass die Journalisten das wohl sehen konnten. Wir haben dann schnell allerhand Journalisten-Tricks kennengelerntâ, fährt mein Vater fort. âWir wählten jeden Tag einen anderen Weg vom Hotel, in dem uns das ZDF untergebracht hatte, zur Klinik, um ihnen aus dem Weg zu gehen.â
Besonders einfallsreich war ein junger Mann, der sich mithilfe eines riesigen BlumenstrauÃes bis zum Eingang der Intensivstation vorgearbeitet hatte und dort angab, diesen Strauà solle er auf die dringliche Bitte von Thomas Gottschalk hin âunbedingt Samuel Koch persönlich übergebenâ.
Mein Vater schmunzelt, wenn er an diesen Trick denkt: âIch möchte heute noch gerne wissen, wie viele Kameras und Mikrofone da zwischen Rosen und Blattgrün versteckt waren!â
Leider musste der forsche Rechercheur wieder abziehen, lieà aber das Blumengebinde zurück, das offensichtlich wirklich verwanzt war. âWas ihm lediglich gelang, war, ein paar Gesprächsfetzen von uns im Warteraum vor der Intensivstation aufzuzeichnenâ, sagt mein Vater. âDie fanden wir nämlich am nächsten Tag in einigen Medien wieder â wohl wissend, dass niemand von uns sie in einem offiziellen Interview von sich gegeben hatte.
Ab Montag waren die Zeitungsständer gefüllt mit Berichten über den Unfall. Ein seltsames Gefühl, für das es gar keine Worte gibt, wenn man seinen Sohn auf den Titelblättern sieht. Vor wenigen Tagen noch hatte ich die schönste, intensivste Vater-Sohn-Zeit mit Samuel erlebt, und dann wird in dritter Person in allen Zeitungen über ihn berichtet ...â
Pressestress in Nottwil
âAggressive Mitarbeiter deutscher Medien machen es dem Personal des Paraplegiker-Zentrums in Nottwil schwer, den Patienten Samuel Koch zu betreuenâ, so der Geschäftsführer Beat Villiger in einem Video-Interview eine Woche nach meinem Unfall. Obwohl dort schon viele Spitzensportler betreut worden waren, übertraf der Rummel um mich alles, was man bisher erlebt habe, sagte Villiger in einer Pressemitteilung.
Nachdem bekannt geworden war, dass ich nach Nottwil verlegt wurde, vergingen nur wenige Stunden, bis das erste deutsche TV-Team vor der Klinik auffuhr. âSeither werden es immer mehrâ, klagte der Klinikchef damals.
Das Paraplegiker-Zentrum stellte einen Sicherheitsdienst auf die Beine, der die Intensivstation abschirmte. Dafür wurden Mitarbeiter aus dem Haus abgestellt, die sämtliche Angestellten kannten. Damit wollte man verhindern, dass unbemerkt Journalisten auf die Intensivstation gelangten. Meine Eltern waren abgeschirmt und sehr dankbar für die SicherheitsmaÃnahmen der Klinik. Ich dagegen war die erste Zeit so isoliert und von Medikamenten benebelt, dass ich von nichts eine Ahnung hatte.
âNur Unterhaltungâ
Mein Papa erzählt: âDie Berichte in der dritten Person, die Spekulationen und Fehlinterpretationen führten uns zu dem Wunsch, mit der Presse direkt Kontakt aufzunehmen. Aber wen sollten wir aussuchen, um das in Worte zu fassen, was wir sagen wollten? Da war doch ein handgeschriebener Brief von einem Journalisten in all der Post gewesen ... Wir haben den tatsächlich mit Tinte handgeschriebenen Brief herausgesucht und die angegebene Telefonnummer gewählt. An Stimme und Stimmlage des Journalisten, Wortwahl und Zurückhaltung merkte ich, dass die Worte in dem Brief keine Hülsen gewesen waren. Die Anteilnahme war echt â wie sich später herausstellte, kein Wunder: Wer den schwerkranken Vater bis zum Tod pflegt, weiÃ, wie es ist, mit Leid umzugehen. Die gegenseitige Sympathie lieà uns offen über Samuel und das Erlebte erzählen. Wir luden den Journalisten mal nach Hause, mal nach Nottwil ein und telefonierten viel. Das Ganze mündete in einem mehrseitigen Artikel im Stern .â
Irgendwann war ich so weit, mich auch selbst zu Wort zu melden. Nach einiger Ãberlegung und Beratung,
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