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Samuel Koch - Zwei Leben

Samuel Koch - Zwei Leben

Titel: Samuel Koch - Zwei Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Fasel
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rudimentären Französischkenntnisse aufzubessern, und als Nachschlag habe ich mir einmal pro Woche Englischunterricht gegönnt, in dem ich Shakespeare-Texte gelesen und übersetzt habe.
    War ich früher immer derjenige, der versucht hat, die anderen zu verschiedensten Aktivitäten anzutreiben, tut es heute sehr gut, dass mein Tagesprogramm immer wieder durch Freunde und Kameraden aufgelockert wird, die vorbeischauen, mich abholen, um etwas mit mir zu unternehmen oder einfach mit mir zusammensitzen und plaudern . Sonst würde mir wohl öfters mal die Decke auf den Kopf fallen. Deshalb bin ich froh, wenn dann irgendwas geht, obwohl mit mir eigentlich nicht mehr so viel geht.
    Ein Jahr nach meinem Unfall wurde ich kurz vor Weihnachten aus der Klinik entlassen. Natürlich will ich jetzt erst recht nicht wie ein Käfer auf dem Rücken liegen und dabei die Fliege an der Decke anstarren. So eine Fliege konnte in meinem Zustand durchaus ein Problem werden. Zum Beispiel, wenn sie sich auf meine Nase setzte oder auf meinem Gesicht herumkrabbelte und ich sie nicht verscheuchen konnte. Mittlerweile habe ich meine Mimik allerdings perfektioniert und meine Nackenmuskulatur stabilisiert, so dass ich eine Fliege von fast allen Teilen meines Gesichts durch äußerst ästhetische Grimassen verscheuchen kann.
Kompliziertes Alltagsleben
    Nicht betroffene Menschen können sich nur schwer vorstellen, was eine Tetraplegie bedeutet. Die alltäglichsten Dinge wachsen sich zur Monsteraktion aus. Es ist ja nicht nur das Aufstehen, Duschen oder Essen, nein, hinzu kommen all die Kleinigkeiten, die das Leben oft erschreckend umständlich machen.
    Ein Beispiel: Zähneputzen. Kein Mensch schafft es, mir genau so die Zähne zu putzen, wie ich es selbst machen würde. Die Intensität, die Schrubbrichtung, die Dauer, der Winkel der Zahnbürste zu den Zähnen ... ich muss mich damit abfinden, dass kleine Rituale und Gewohnheiten nicht mehr so sind, wie sie waren.
    Auch einen Pulli anzuziehen gerät gern mal zur Staatsaktion. Oder auch zur Slapstick-Nummer. Von meiner Körperspannung habe ich mich ja leider verabschieden müssen. Damit ist jede Unterstützung für den Anziehvorgang dahin. Meine Helfer müssen zum Teil ausdauernd, geschickt und feinfühlig sein, um meine Arme und meinen Kopf durch die richtigen Öffnungen zu bugsieren, ohne dabei irgendwelche Finger abzubrechen. Es ist befremdlich und komisch zugleich, die Mühen meiner Pfleger und Helfer zu beobachten und nicht im Geringsten mithelfen zu können. Im Gegenteil, ich muss noch Bemerkungen und Korrekturen diktieren – ekelhaft.
    Meine Skala dessen, was ich unter „Lebensqualität“ verstehe, hat sich radikal verändert. Früher hätte ich so etwas wie einen Wohnort in direkter Nähe zum Surfstrand oder einem Skigebiet unter dem Begriff Lebensqualität verbucht. Heute ist es für mich ein Stück Lebensqualität, wenn mir ein Freund die Mütze ohne große Erklärungen auf Anhieb genau so aufsetzt, wie ich es gern hätte ...
    Der Alltag ist für einen Tetraplegiker ein Wettstreit der Absurditäten. Jeder Bordstein würde zum Westwall, jede Treppenstufe wäre unüberwindlich wie die Berliner Mauer, wenn ich nicht immer Menschen um mich hätte, die mir helfen.
    Ein Schlüsselerlebnis hierzu hatte ich, als ich beim Heimaturlaub in Deutschland mit Daniela ins Kino wollte. Sämtliche umliegenden Kinos, in denen der Film lief, den wir sehen wollten, waren nicht für Rollstuhlfahrer ausgelegt. Selbst mich hineinzutragen ging nicht, da ich im Notfall zu schwierig zu evakuieren gewesen wäre. Der einzige Film, der an diesem Wochenende für mich erreichbar war, wäre „Alvin und die Chipmunks“ gewesen. Na, vielen Dank!
    Sich helfen zu lassen ist ein komplexes Thema. Nehmen wir das banale Beispiel „Trinken“. Wenn ich Durst habe, muss mir jemand „das Wasser reichen“. Es ist mühsam, alle paar Minuten jemanden zu fragen, ob er mir mal ein Getränk anreichen kann. Andererseits ist es auch für die, die mich begleiten, irgendwie blöd, dauernd zu fragen, ob ich etwas trinken will. Gute Freunde wie Chris und ich haben da mittlerweile einen ganz entspannten Rhythmus gefunden, der nicht mehr schmerzhaft auffällt. Aber es braucht Zeit, bis sich so etwas eingespielt hat.
    Das gilt auch für das Essen. Vor allem, wenn man wie ich, zuvor ein

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