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Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen

Titel: Samuel und die Liebe zu den kleinen Dingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesc Miralles
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älteres, nordisch aussehendes Paar. Ich nehme an, für die beiden fühlten sich fünf Grad über Null und ein paar eisige Sonnenstrahlen bereits an wie Sommer. Am zweiten Tisch saß ein bärtiger Typ von etwa vierzig Jahren mit grauem Mantel, schwarzem, breitkrempigem Hut und weißem Schal. Er hielt einen dicken Stapel Papier in der Hand, der an der Seite mit einer Spiralbindung zusammengehalten war.
    Ich bestellte einen Vermouth und vergewisserte mich, dass ich einen guten Blick auf die Kreuzung hatte. Würde es mir gelingen, Gabriela einzuholen, falls sie auf der Bildfläche erscheinen sollte? Alles hing davon ab, aus welcher Richtung sie kam: Kam sie von der Carrer Bergara her, würde ich aufspringen und darauf hoffen, dass die Ampel – und der Verkehr – mir keinen Strich durch die Rechnung machten, wie beim letzten Mal. Kam siejedoch aus der entgegengesetzten Richtung, brauchte ich einfach nur an Ort und Stelle auf sie zu warten.
    Ich malte mir aus, was wir zueinander sagen würden:
    »Was für ein Zufall, Gabriela! Ich hätte dir neulich so gerne Hallo gesagt.«
    »Mir ging’s genauso«, würde sie antworten. »Was für ein Zufall, dass wir uns so schnell wiedersehen.«
    »Wie es scheint, hat uns das Schicksal aufs Neue zusammengeführt«, würde ich sagen, »obwohl man ihm manchmal zu Hilfe kommen muss, wie ja Gott auch.«
    »Ganz egal«, wäre ihre Antwort. »Die Hauptsache ist doch, dass wir jetzt zusammen sind, nicht wahr?«
    »So ist es, und nichts kann uns mehr trennen.«
    Während ich tief ergriffen diesen Dialog entwarf, bemerkte ich, dass der Bärtige mich anstarrte, und zwar völlig schamlos und ohne jede Zurückhaltung. Ich starrte zurück, um ihn einzuschüchtern, doch er rührte sich keinen Millimeter. Es war, als hätte meine Anwesenheit ihn hypnotisiert.
    Schließlich gab ich mich geschlagen und senkte den Blick auf das Manuskript auf seinem Tisch. Auf der Titelseite stand in großen Lettern:
     
    DIE DUNKLE SEITE DES MONDES
     
    Scheint ein ziemlicher Spinner zu sein, dachte ich bei mir. Um die Situation zu entschärfen, zahlte ich und stand auf. Der Mann mit dem Hut ließ mich trotzdem nicht aus den Augen.
    Selbst als ich bereits ein ganzes Stück die Straße hinuntergegangen war, spürte ich im Rücken noch seinen bohrenden Blick.

FLASCHENPOST
    Um keine Zeit durchs Kochen zu verlieren, aß ich unterwegs ein Brötchen. Ich hatte für den Tag einen ehrgeizigen Haushaltsplan: zwei Maschinen Wäsche waschen, das Wohnzimmer saugen und Suppe für die ganze Woche vorkochen.
    Außerdem wollte ich meine Notizen zu Kafka ordnen, um für die Referate vorbereitet zu sein.
    Drei Metrostationen und ich war wieder in Gràcia, dem einzigen Viertel in Barcelona, in dem die Fußgänger mehr Platz haben als die Autos. Auf dem Weg zu meiner Wohnung ging ich am Kino vorbei, um zu schauen, welche Filme dort liefen, kaufte mir anschließend eine Zeitung und eine Flasche Mineralwasser.
    Jetzt konnte ich mich bis zum nächsten Tag zu Hause verkriechen.
     
    Als ich meine Wohnung betrat, sah ich, dass der Anrufbeantworter blinkte, ein seltener Anblick. Das Display zeigte sogar zwei Nachrichten an, die beiden ersten in einer langen, stillen Woche. Ich drückte die Wiedergabetaste, legte die Zeitung auf den Tisch und stellte das Wasser in den Kühlschrank.
    Eine grobe männliche Stimme ertönte:
     
    Guten Tag. Mein Name ist Paco Liñán, ich rufe an wegen der Katze. Ich würde sie mir ganz gerne mal anschauen, bevor ich sie nehme. Meine Nummer ist ...
     
    Ich löschte die Nachricht, da ich gerade beschlossen hatte, Mishima doch nicht wegzugeben. Die Katze schien die Situation zu erfassen, jedenfalls drehte sie mit stolz gerecktem Schwanz mehrere Runden durchs Wohnzimmer.
    Auch die nächste Nachricht war eigentlich für Mishima bestimmt:
     
    Hallo, hier ist die Tierärztin. Da Sie die Katze immer noch nicht vorbeigebracht haben, dachte ich, ich rufe mal an, um Sie an die Impfungen zu erinnern. Sie müssten dann auch nichts mehr bezahlen. Ciao.
     
    »Braves Mädchen«, sagte ich zum Anrufbeantworter. Vielleicht würde es doch noch etwas werden mit der heißen Schokolade und den Churros.
    Die Versuchung, Mishima sofort in die Box zu sperren und sie zur Tierärztin zu bringen, war groß, aber schließlich riss ich mich am Riemen. Der restliche Tag stand im Zeichen der Hausarbeit, und das sollte auch so bleiben.
    Womit sollte ich anfangen? Eine logische Vorgehens weise war wohl sinnvoll: Die Zwiebelsuppe brauchte ein

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