Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
dann setzten sie den Weg zum Teehaus fort. Der Eingang war nur einen Meter hoch und sie mussten sich beim Eintreten bücken. Emi hatte erklärt, dass der Eingang deshalb so niedrig sei, damit sich alle Gäste ungeachtet ihres gesellschaftlichen Rangs bücken mussten. Dies galt als Zeichen ihrer Gleichheit während der Teezeremonie. Samurai durften ihr Schwert nicht mit nach drinnen nehmen.
Jack trat als Letzter ein. Er schlüpfte aus seinen Sandalen und bückte sich. Drinnen richtete er sich wieder auf und hielt staunend die Luft an. Sämtliche Wände des kleinen, rechteckigen Raums waren mit Blattgold überzogen. Jack hatte das Gefühl, in einem Zimmer aus massivem Gold zu stehen. Sogar die Decke war vergoldet. Der einzige Schmuck war ein Rollbild, das in einer Nische hing. Die Matten auf dem Boden waren zwar nicht aus Gold, dafür aber mit einem leuchtend roten Saum eingefasst. Überwältigt sah Jack sich um.
Nach dem, was ihm Akiko erzählt hatte, hatte er sich Teehäuser als schlichte Holzbauten in gedämpften Farben vorgestellt, doch dieses Teehaus war unvorstellbar prächtig.
Akiko und Yamato schienen gleichermaßen beeindruckt und Daimyo Takatomi wirkte darüber sichtlich erfreut. Er bedeutete ihnen, näher zu kommen und sich hinzuknien.
Emi trat vor die Nische, bewunderte ausführlich das Rollbild, kniete sich dann vor die Feuerstelle und betrachtete anerkennend den Wasserkessel. Akiko und Yamato vollzogen dasselbe Ritual. Dann war Jack an der Reihe und versuchte es ihnen nachzumachen.
Er näherte sich der Nische und betrachtete das Bild, ein schlichtes, aber erlesenes Gemälde. Es zeigte einen Eisvogel auf einem kahlen Ast. Am rechten Rand verlief von oben nach unten eine mit Tinte gemalte Inschrift in japanischen Schriftzeichen.
»Die Inschrift lautet ichi-go, ichi-e: ein Leben, eine Begegnung«, erklärte Takatomi. »Sie soll daran erinnern, dass jede Teezeremonie ein einzigartiges Ereignis ist und als solches empfunden werden muss.«
Die anderen nickten zustimmend.
»Eine andere Bedeutung ist ›eine einmalige Chance in einem ganzen Leben‹. Ich denke dabei daran, dass man in einer Auseinandersetzung um Leben und Tod keine zweite Chance bekommt. Man muss das Leben mit beiden Händen packen.«
Ichi-go, ichi-e, wiederholte Jack leise für sich. Was der Daimyo sagte, leuchtete ihm ein. Jack hatte viel verloren und wusste, dass einem das Leben jederzeit genommen werden konnte.
Takatomi bedeutete ihm, neben die anderen zu knien, dann zündete er die Holzkohle an und streute Räucherwerk in die Flammen. Schon bald erfüllte der berauschende Duft von Sandelholz das Zimmer.
Durch eine unauffällige Tür zu seiner Rechten zog Takatomi sich in ein Vorbereitungszimmer zurück und holte eine schwarze Teeschale, in der ein Teebesen aus Bambus, ein weißes Leinentuch und ein schmaler, elfenbeinerner Löffel lagen. Bei seiner Rückkehr legte er diese Gegenstände sorgfältig neben einem großen ovalen Wassergefäß auf der mittleren Matte zurecht.
Als Nächstes brachte er ein zweites Gefäß, eine Schöpfkelle aus Bambus und einen grünen Bambusuntersetzer für den Deckel des Wasserkessels herein. Er schloss die Tür hinter sich und kniete sich hin.
Nun zog er ein lilafarbenes Seidentuch aus seinem Obi und begann Löffel und Teedose rituell zu reinigen. Er widmete sich der Verrichtung dieser Aufgabe mit höchster Konzentration. Jede Bewegung wurde mit größter Genauigkeit ausgeführt und hatte eine Bedeutung, die Jack verborgen blieb.
Endlich schöpfte der Daimyo heißes Wasser aus dem Kessel in die Teeschale. »Wenn Tee mit Wasser aus den unergründlichen Tiefen des Geistes zubereitet wird, dann haben wir es wirklich mit cha-no-yu zu tun.« 2
Damit begann die Teezeremonie.
2 »Wenn Tee mit Wasser aus den unergründlichen Tiefen des Geistes zubereitet wird, dann haben wir es wirklich mit cha-no-yu zu tun.« Toyotomi Hideyoshi, Samuraifürst (1537–1598)
12
Tamashiwari
»Vier Stunden für eine Tasse Tee!«, rief Jack, als sie durch die sternenklare Nacht zur Halle der Löwen zurückkehrten.
»Ja, es war wirklich wunderbar!«, fiel Akiko begeistert ein. Sie hielt Jacks Fassungslosigkeit für Bewunderung. »Alles war vollkommen. Der Daimyo ist ein großer Meister der Teezeremonie. Du kannst dich wirklich geehrt fühlen.«
»Ich spüre vor allem meine Knie!«, murmelte Jack auf Englisch. Er hatte schon nach einer Stunde seine Knie nicht mehr bewegen können. »Gott verhüte, dass Tee jemals zu uns
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