Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
klatschte in die Hände und rief »mokuso!« zum Zeichen, dass die Schüler mit der Meditation beginnen sollten. Das Koan war gestellt: »Es ist Papier, aber was ist es noch?«
Jack setzte sich auf seinem Kissen zurecht, schloss die Augen halb, verlangsamte den Atem und versuchte, zur Ruhe zu kommen.
Vor seiner Ankunft in Japan hatte Jack nichts über Meditation oder Buddhismus gewusst. Anfangs hatte er sich schwer damit getan und bezweifelt, ob er sich als Christ überhaupt damit befassen durfte. Dreierlei hatte dazu beigetragen, seine Meinung zu ändern.
Er hatte mit Sensei Yamada über seine Zweifel gesprochen. Der Mönch hatte geantwortet, dass der Buddhismus für alle Religionen offen sei. Die Japaner sahen deshalb keinen Widerspruch darin, dem Shintoismus, ihrer ursprünglichen Religion, anzuhängen und zugleich den Buddhismus zu praktizieren und sich sogar zum Christentum zu bekehren.
»Die Religionen sind alle Fäden desselben Teppichs«, hatte der Sensei gesagt, »nur in verschiedenen Farben.«
Zweitens hatte Jack entdeckt, dass Meditation viel mit Beten gemeinsam hatte. Beides erforderte Konzentration, eine ruhige Umgebung und Nachdenken über das Leben und die Frage, wie man leben sollte. Jack beschloss deshalb, das Meditieren einfach als andere Form des Gebets zu Gott anzusehen.
Drittens hatte er während einer besonders tiefen Meditation die Vision eines Schmetterlings gehabt, der einen Dämon besiegte, und diese Vision hatte ihm beim waffenlosen Kampf im Schulwettbewerb geholfen. Seit dieser Erfahrung hatte er sich den Möglichkeiten und Vorzügen des Buddhismus geöffnet, auch wenn er im Herzen Christ blieb.
Da er täglich übte, hatte Jack das Meditieren rasch gelernt. Er brauchte deshalb auch jetzt nicht lange, um seine Gedanken auf das Blatt Papier vor sich zu lenken und sich der Lösung der Frage zuzuwenden. Zwar fiel ihm keine Antwort ein, doch das beunruhigte ihn nicht. Er wusste, dass man Geduld und höchste Konzentration brauchte, um zur Erleuchtung zu gelangen, zum satori , wie Sensei Yamada es nannte.
Egal, wie er das Papier ansah, es blieb doch immer nur ein Blatt Papier. Ein ganzes Räucherstäbchen war heruntergebrannt, als Sensei Yamada die Meditation schließlich beendete, und Jack war der Erleuchtung keinen Schritt näher gekommen.
»Mokuso yame!«, sagte der Sensei und klatschte wieder in die Hände. »Hast du jetzt eine Antwort für mich, Nobu-kun?«
»Nein, Sensei«, murmelte Nobu und senkte beschämt den Kopf.
»Jemand anders?« Der Sensei sah sich auffordernd um.
Kiku hob zögernd die Hand. »Vielleicht Maulbeerbaum, Sensei?«
»Wie kommst du darauf?«
»Das Papier ist aus den Fasern des Maulbeerbaums hergestellt«, erklärte Kiku.
»Guter Gedanke, aber du denkst noch zu wörtlich. Was mache ich jetzt?«
Sensei Yamada nahm das Blatt Papier vor sich und faltete es einige Male, zunächst zu einem kleineren Viereck und dann zu anderen Formen. Wenig später hatte das Blatt sich in einen kleinen Vogel verwandelt.
Er stellte das Papiermodell vor sich auf den Boden, damit alle es sehen konnten.
»Was ist das?«
»Das ist ein Kranich!«, rief Emi aufgeregt. »Das Symbol für Frieden.«
»Ausgezeichnet, Emi. Einen Kranich aus Papier zu falten, ist wie Frieden schließen. Einige Schritte sind mühsam und anfangs mag es so aussehen, als komme nichts dabei heraus. Aber mit etwas Geduld erhält man immer ein schönes Ergebnis. Das ist die Kunst des origami .«
Sensei Yamada nahm von einem kleinen Stapel hinter sich ein neues Blatt.
»Ich will meine erste Frage, über die ihr meditieren solltet, anders formulieren. Sie lautet jetzt: Was lehrt uns Origami? Aber seht mir zuerst genau zu, damit ihr selber Kraniche falten könnt.«
Sensei Yamada wiederholte die komplizierte Folge von Faltungen, aus denen der kleine Vogel hervorging. Sie umfasste über zwanzig Schritte. Nach dem letzten Knick zog er an den Ecken des Modells. Zwei Flügel breiteten sich aus und auf seiner Hand stand ein vollendeter kleiner Kranich.
Auf Jacks Hand lag nur ein zerknittertes Blatt Papier.
Die Kunst des Papierfaltens war offenbar sehr viel schwieriger, als es aussah. Jack sah sich um. Yamatos und Saburos Versuche waren ähnlich unvollkommen und Akikos Kranich hatte eine starke Schlagseite, ein Flügel war viel größer als der andere. Yori hatte als Einziger einen perfekten Kranich gefaltet. Behutsam zog er am Schwanz und ließ den Vogel mit den Flügeln schlagen.
»Einige von euch müssen
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