Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
sechzehnten Schrein.
Er ging wieder. Er hatte seine Schmerzen überwunden, wie es der Hohepriester gesagt hatte. Doch er war noch keine zwanzig Schritte gegangen, da funkelten ihn aus der Dunkelheit zwei rote Augen an.
Mit einem heiseren Schrei griff die dämonische Erscheinung ihn an.
39
Yori
Gerade noch rechtzeitig konnte Jack den Hauern ausweichen.
Mit zum Angriff gesenktem Kopf raste der Keiler an ihm vorbei und verfehlte Jacks linkes Bein nur um Haaresbreite. Krachend verschwand das Tier im Unterholz.
Jack lag keuchend im Gebüsch, während das Schnaufen des Tieres leiser wurde und zuletzt im Lärm des Unwetters unterging. Bei seinem verzweifelten Sprung zur Seite hatte er die Laterne fallen lassen. Sie war ausgegangen und lag zerknittert und nutzlos auf dem nassen Boden.
Was sollte er tun?
Es war mitten in der Nacht und er konnte in dem dichten Wald nur einige wenige Meter weit sehen. Wenn er im Dunkeln weiterging, verirrte er sich bestimmt. Außerdem befand er sich mitten im Ninja-Gebiet. Er hatte kaum noch Chancen, die Aufgabe zu beenden und lebend vom Berg zurückzukehren.
Doch da er als Letzter losgegangen war, hatte es auch keinen Sinn zu warten, bis ihn jemand fand. Und wenn er hier blieb, lief er außerdem Gefahr zu erfrieren.
Seine Lage hätte kaum schlimmer sein können. Da er zum Weinen zu müde war, wurde er stattdessen wütend. Entschlossen stand er auf und schleppte sich weiter.
Er würde sich von dem Berg nicht unterkriegen lassen. Er würde überleben.
Im nächsten Augenblick stieß er gegen einen Baum.
Er fluchte, ging aber weiter. Er erinnerte sich an den Daruma und die Lehre, die er ihm im Vorjahr beim Schulwettbewerb erteilt hatte. Er atmete ein paarmal tief durch, um sich zu beruhigen. Dann fiel ihm ein, dass er die Techniken anwenden konnte, die er von Sensei Kano gelernt hatte. Er streckte die Hände aus und tastete sich vorsichtig und aufmerksam lauschend durch den Wald.
Zum ersten Mal konnte er sich die Schwierigkeiten vorstellen, vor denen der Sensei täglich stand, und seine Bewunderung für den blinden Lehrer wuchs. Für den b ō -Meister war das Leben ein ständiger Kampf durch einen stockdunklen Wald und doch ließ er sich davon nichts anmerken.
Demgegenüber nahmen sich seine eigenen Probleme bescheiden aus.
Der Weg machte eine Kurve und Jack sah im Dunkeln vor sich ein flackerndes Licht. Beim Näherkommen hörte er jemanden leise stöhnen. Er ging schneller. Auf dem Weg vor ihm lag jemand. Es war Yori.
»Was ist passiert?« Er eilte zu ihm. »Bist du verletzt?«
»Ein Keiler hat mich angegriffen«, stöhnte Yori. Sein Gesicht im Schein der Laterne war leichenblass.
Jack hielt die Laterne über ihn und suchte ihn nach Verletzungen ab. Auf dem rechten Schenkel Yoris entdeckte er eine große offene Wunde, die heftig blutete. Er musste Yori so schnell wie möglich zum Tempel zurückbringen, sonst würde der Junge sterben. Er riss den Ärmel seines Gewandes ab und band ihn fest um Yoris Bein, um die Blutung zu stillen.
»Meinst du, du kannst stehen?«
»Ich habe es versucht … aber es geht nicht«, keuchte Yori und kniff die Augen vor Schmerzen zusammen. »Du musst Hilfe holen.«
»Ich kann dich hier nicht allein lassen. Du zitterst ja schon vor Kälte. Wir müssen gemeinsam absteigen.«
»Aber ich kann nicht gehen …«
»Doch«, erwiderte Jack und schob Yori seinen Arm um die Hüften. »Leg den Arm um meine Schulter.«
Unter Aufbietung aller Kräfte konnte er Yori hochziehen.
»Aber mit mir bist du doch viel zu langsam«, protestierte Yori. »Dann kommst du nicht pünktlich zurück.«
»Ich sehe im Dunkeln sowieso nichts. Ich habe beim Zusammenstoß mit diesem blöden Keiler meine Laterne fallen lassen.« Jack lächelte Yori aufmunternd an. »Ich stütze dich und du hältst die Laterne und leuchtest uns.«
Sie gingen einige zögernde Schritte, stolperten und stießen gegen einen Baum. Yori schrie vor Schmerzen auf.
»So geht es nicht«, keuchte er. »Das schaffen wir nie.«
»Doch, wir müssen nur einen Rhythmus finden.«
Jack senkte den Blick, bevor Yori den Zweifel in seinen Augen bemerken konnte.
Der Lahme führt den Blinden, dachte er. Konnte das gut gehen?
Und dann hatten sie sich verirrt.
Sie waren sich einig gewesen, dass sie den Berg am sichersten und schnellsten hinunterkamen, indem sie dem vorgegebenen Weg folgten. Anfangs waren sie auch gut vorangekommen und hatten die nächsten vier Schreine problemlos gefunden. Der zwanzigste Schrein
Weitere Kostenlose Bücher