Samurai 2: Der Weg des Schwertes (German Edition)
und sah den weiß gekleideten Hohepriester mit ausgebreiteten Händen auf der obersten Stufe stehen. Durch die offene Tür dahinter erblickte Jack im Dunkel den hölzernen Buddha.
»Du darfst ihm nicht helfen. Wenn er weiterkommen will, muss er die Reise selbst zu Ende bringen.«
»Aber er ist am Ende seiner Kräfte«, sagte Akiko bittend.
»Das muss er selbst entscheiden, nicht du«, erwiderte der Priester. »Lass ihn los.«
Akiko ließ Jack vorsichtig los und trat einen Schritt zurück. In ihren Augen standen Tränen.
Jack kniete benommen auf dem Boden. Erschöpfung drückte ihn nach unten, als lastete das Gewicht des Himmels auf seinen Schultern. Die Buddha-Statue war nur fünfzig Schritte von ihm entfernt, aber sie hätte, was Jack anging, genauso gut auf der anderen Seite der Erde stehen können. Er hatte in seinem verzweifelten Bemühen, Yori zu retten, seine letzte Kraft verbraucht.
Drinnen begannen die Mönche das Mantra des Lichts zu singen. Jack sah, dass die anderen Schüler, die Lehrer und Masamoto sich im Hof versammelt hatten. Sie warteten alle darauf, was er tun würde. Der Hohepriester winkte ihm mit einer kurzen Handbewegung, wandte sich um und betrat den Tempel, als erwartete er, dass Jack ihm folgte.
Jack folgte ihm nicht.
Er war zu erschöpft.
Seine Energie war verbraucht. Es gab keine Schmerzgrenze mehr, die er überwinden konnte. Vollkommen leer und kraftlos kniete er wie vor einem Abgrund, über den er unmöglich springen konnte.
Kazuki trat mit einem anmaßenden Lächeln neben ihn. »Das schaffst du nicht«, flüsterte er ihm schadenfroh ins Ohr.
Die Sonne war das Tempeldach zur Hälfte hinuntergewandert. Jack sah, wie sie sich langsam über die Dachziegel bewegte. Kazuki hatte Recht. Den Buddha rechtzeitig zu erreichen bedeutete eine übermenschliche Kraftanstrengung.
Niedergeschlagen starrte Jack auf den Boden vor seinen Augen. Benommen beobachtete er eine Ameise, die ein Blatt hinter sich herzog, das fünfmal so groß war wie sie selbst. Unablässig zog, schob und zerrte das kleine Geschöpf an seiner Last und gab trotz der Größe des Blatts nicht auf.
Nur wer aufgibt, scheitert.
Unaufhörlich gingen ihm Sensei Yamadas Worte durch den Kopf. Er hob den Kopf und sah den alten Zen-Meister am Eingang des Tempels stehen. Aus seinen Augen schien unerschütterlicher Glaube an seinen Schüler.
»Los, Jack, du schaffst es!«, rief Yamato und rannte zusammen mit Saburo die Treppe hinunter und ihm entgegen.
»Los, Jack!«, wiederholte Saburo.
»Nur ein paar Schritte«, rief Akiko mit flehend ausgestreckten Händen.
Unter Anspannung all seiner Muskeln und angespornt von seinen Freunden stand Jack schwerfällig auf und machte einen unsicheren Schritt in Richtung Tempel. »Nur wer aufgibt, scheitert«, wiederholte er flüsternd bei jedem Schritt wie ein Mantra. »Nur wer aufgibt, scheitert. Nur wer aufgibt …«
Beharrlich setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine Beine fühlten sich an, als ziehe er Kugelfesseln hinter sich her. Er fiel mehr, als dass er ging, doch jeder Schritt brachte ihn seinem Ziel näher.
Er erreichte die Tempeltreppe und kroch die Stufen hoch. Seine Freunde feuerten ihn unablässig an, doch ihre Worte drangen wie von ferne an sein Ohr. Er nahm nur noch den gleichförmigen Singsang der weiß gekleideten Mönche wahr. Je näher er ihnen kam, desto stärker wurde ihr Mantra und er spürte, wie es ihn durchdrang und belebte.
Er betrat den Tempel.
Auch die Sonne hatte ihn erreicht.
Sie war über den Bergen aufgegangen, schien hell auf die Rückwand des Tempels und näherte sich den Augen des Buddhas. Staub tanzte in ihren Strahlen.
Stumm, fast andächtig verfolgten Schüler und Lehrer, wie Jack mit letzter Kraft auf die Statue zuwankte. Kein Laut war zu hören.
Jack streckte die Hand aus. Im selben Moment erreichte die Sonne die Augen des Buddhas und der Sprechgesang der Mönche verstummte. Jack spürte das kalte Holz und den glatten Bauch des Buddhas unter seinen Fingern. Er lächelte, dann brach er zu Füßen der Statue zusammen.
»Man kann nicht den Berg bezwingen, sondern nur sich selbst«, begann der Hohepriester, sobald seine Zuhörer sich nach dem Mittagessen wieder im Tempel versammelt hatten. »Die erste Prüfung des Kreises der Drei hat den Körper auf die Probe gestellt und ihn an seine äußerste Grenze getrieben. Fünf von euch haben den Tempel erreicht, bevor das erste Tageslicht die Augen des Buddhas traf, und dadurch gezeigt, dass sie über
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