Samurai 3: Der Weg des Drachen
Hals. Sein Herz schlug immer lauter, der Druck in seiner Lunge wuchs. Wie gern hätte er ausgeatmet und das kalte Wasser in sich hineingesogen!
Schwindel erfasste ihn und er hörte auf zu schwimmen. Er würde das Ende des Tunnels nicht erreichen. Sprudelnd atmete er aus. Eine schläfrige Schwere überkam ihn. Auf einmal war ihm alles egal. Die Vorstellung zu ertrinken verlor ihren Schrecken. Wenigstens starb er mit dem Portolan. Er würde ihn seinem Vater zurückbringen und er würde seine Mutter wiedersehen.
Von tiefem Frieden erfüllt überließ Jack sich seinem Schicksal.
Da spürte er, wie sich zwei warme Lippen auf seinen Mund drückten. Luft wurde ihm in den Mund geblasen. Seine Lunge hieß den Sauerstoff willkommen wie ein berauschendes Elixier. Jack erwachte aus seiner Benommenheit. Fast hätte er das Bewusstsein verloren und sich in den Tod ergeben. Dabei wollte er doch leben.
Die Lippen zogen sich wieder zurück und eine Hand packte ihn am Handgelenk und zog ihn weiter.
Wenige Augenblicke später brachen Jack und Akiko durch die Wasseroberfläche des Burggrabens.
Keuchend sog Jack die Luft in sich hinein.
»Ich fürchtete schon, ich hätte dich verloren«, flüsterte Akiko verstört.
»So schnel l … geht das nicht«, ächzte Jack und spuckte Wasser aus.
»Pst!«, flüsterte Akiko warnend. »Hier sind überall Feinde.«
Jack sah zum gegenüberliegenden Ufer. Hunderte von Soldaten eilten durch die Dunkelheit und auf dem Wasser neben ihm trieben zahllose Leichen. Sie dümpelten im Wasser wie faulende Baumstämme. Ein kopfloser Körper stieß gegen ihn und Jack unterdrückte nur mit Mühe einen Schrei. Stumm schwamm er hinter Akiko her zum anderen Ufer des Grabens.
Sie stiegen aus dem Wasser und versteckten sich hinter einem nahen Gebäude. Sobald die Luft rein war, eilten sie zur äußeren Mauer. Von Schatten zu Schatten huschend arbeiteten sie sich durch die vielen Höfe und Gassen der äußeren Befestigungsanlagen. Sie durften nicht gesehen werden und rückten deshalb nur quälend langsam vor.
Unvermutet kam ihnen eine Patrouille Roter Teufel entgegen. Akiko zog Jack in einen Stall. Ein Pferd schnaubte erschrocken. Akiko streichelte ihm besänftigend die Mähne und beruhigte es, während die Samurai draußen vorbeizogen.
Jack atmete aus. »Das war knapp.«
»Draußen wird es allmählich zu gefährlich«, flüsterte Akiko. »Alle sind in Alarmbereitschaft.«
Sie spähte auf die Gasse hinaus.
»Ich habe eine Idee.« Sie schlüpfte aus dem Stall. Jack blieb allein zurück.
Nach einer Weile kam sie wieder. Sie zog die Leiche eines gegnerischen ashigaru hinter sich her, der beim Angriff auf die Burg gefallen war.
»Bakemono-jutsu«, sagte sie als Antwort auf Jacks erschrockenes Gesicht. »Die Geistertechnik der Ninjas.«
60
Vom Berg zum Meer
Die Stille der Morgendämmerung glich mehr einem tödlichen Schweigen als einem friedlichen Erwachen. Die letzten Nester des Widerstands waren erstickt und das Feuer unter Kontrolle gebracht. Eine unbehagliche Ruhe hatte sich über die Burg von Osaka gesenkt. Als die ersten Strahlen der Morgensonne durch den rauchgeschwängerten Himmel brachen, waren Kamakuras Soldaten in eine Art Erschöpfungszustand verfallen. Der Feind war vernichtet. Viele hatten die Waffen weggelegt und dösten inmitten der zertrümmerten Mauern, während sie auf weitere Befehle warteten. Das äußere Tor wurde allerdings noch von Roten Teufeln bewacht.
»An denen kommen wir nicht vorbei«, sagte Jack leise. Er führte Akiko auf dem Pferd die Hauptstraße entlang.
»Bei Sensei Kyuzo hat es auch geklappt«, flüsterte Akiko. »Geh einfach weiter.«
Jack rückte Helm und Gesichtsmaske zurecht. »Die Maske ist zu klein«, beklagte er sich. »Sie rutscht mir immer herunter.«
Er trug die mit blau-gelben Wappen verzierte Rüstung des toten ashigaru. Bewaffnet war er mit den Schwertern des Toten. Akiko hatte sich einen Bogen, einen mit Pfeilen gefüllten Köcher und die Rüstung eines hochrangigen, Daimyo Kamakura treu ergebenen Samurai beschafft. Der Helm, den ein Halbmond als Rangabzeichen schmückte, passte ihr wie angegossen. Der einfache Soldat, dem Akiko den Helm für Jack abgenommen hatte, musste dagegen einen sehr kleinen Kopf gehabt haben.
Die Sorge, ihre Verkleidung könnte durchschaut werden, schien unbegründet. Die wenigen Samurai, an denen sie vorbeikamen, hoben kaum die Köpfe. Da auch andere Soldaten Kamakuras am Burgtor ein- und ausgingen, fielen sie nicht weiter
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