Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
neben sie fallen. »Bald ist es wieder so weit und wir müssen Reis dreschen, bis uns die Arme abfallen.«
Jack wurde sich plötzlich bewusst, wie rasch die Zeit vergangen war. Wenn er nicht bald aufbrach, war der Sommer vorbei und er musste im Herbst reisen. Dann wurden die Tage kürzer und die Nächte kälter und er war länger unterwegs. Er musste bald aufbrechen.
Hanzo tauchte auf und schwamm mit einem breiten Grinsen im Gesicht zum Ufer.
»Hab ich doch gleich gesagt: Tengu sind unsterblich!«
Der Abschied von Hanzo wird mir bestimmt schwerfallen, dachte Jack. Zwar ärgerte es ihn, dass der Junge sich nach wie vor weigerte, ihn mit seinem Namen anzureden, aber Hanzo war so erfrischend unbekümmert und offen und so ganz anders als die meisten anderen Japaner, die ihre Gefühle nie zeigten. Und während seines Schwertunterrichts bei Jack hatte er schnell gelernt und viel geübt. Jack hatte ihn richtig lieb gewonnen.
Hanzo stemmte sich heraus, setzte sich ans Ufer, ließ die Füße ins Wasser baumeln und blickte zu Miyuki hinüber, die sich eben zur Überquerung bereit machte.
»Hanz o …« Jack brach verblüfft ab.
Unglaublich, dass ihm das bisher nicht aufgefallen war. Aber sie waren ja auch noch nie zusammen geschwommen.
»Was denn?«, fragte Hanzo.
»Ä h … nichts.«
Aber das stimmte nicht. Hanzo hatte auf der unteren Hälfte seines Rückens ein kleines, rotes Muttermal, das wie das Blatt einer Kirschblüte geformt war. Und genau so ein Muttermal hatte auch Akikos verschollener Bruder Kiyoshi.
25
Stumme Gedanken
In der darauffolgenden Nacht konnte Jack nicht schlafen. Mit offenen Augen lag er auf seinem Futon und musste ständig daran denken, dass Hanzo vielleicht Akikos kleiner Bruder war.
Akiko hatte ihm einmal erzählt, ihr Bruder sei vor fünf Jahren von Drachenauge entführt worde n – während des Mordanschlags auf Yamatos älteren Bruder Tenno. Die meisten glaubten, dass dabei Kiyoshi ums Leben gekommen war, doch Akiko war der festen Überzeugung, dass er noch lebte. Wenn der Ninja ihn nur hätte töten wollen, hätte er ihn kaum entführt.
Der Junge war nie gefunden worden, obwohl Masamoto und seine Samurai ihn lange gesucht hatten. Doch Akiko hatte die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie hatte von einem Gerücht gehört, demzufolge ein Ninjaclan im Iga-Gebirge einen Jungen aus einer Samuraifamilie bei sich aufgenommen hatte, und glaubte seitdem, dass es sich bei diesem Jungen um Kiyoshi handelte. Unter anderem deshalb hatte sie Masamotos Vorschlag zugestimmt, sich zum Ninja ausbilden zu lassen. Sie wollte in die Gemeinschaft der Ninja eindringen, um etwas über den Verbleib ihres Bruders zu erfahren. Doch nur Drachenauge allein kannte das Schicksal Kiyoshis, und mit seinem Tod schien dieses Wissen dahin, genau wie Akikos Hoffnungen. Aber auf einmal war alles anders.
Jack hatte Akiko einmal gefragt, ob sie ihren Bruder nach so vielen Jahren überhaupt noch erkennen würde. Da hatte sie ihm gesagt, Kiyoshi habe am unteren Rücken ein Muttermal in der Form einer Kirschblüte. Genau wie Hanzo.
Das konnte natürlich Zufall sein. Aber Hanzo war im passenden Alter. Und die Art, wie er sich gab, wirkte auf Jack in vielem vertraut. Seine Lebensfreude, Selbstständigkeit und Umgänglichkeit erinnerten ihn an Akiko. Und was die Kampfkünste anging, war der Junge wie seine Schwester ein Naturtalent. Wie viele andere Ninja im passenden Alter haben wohl ein solches unverwechselbares Muttermal?, dachte er.
»Schläfst du?«, flüsterte jemand von der anderen Seite des Zimmers.
Jack schwieg, noch völlig in Gedanken. War Hanzo am Ende wirklich Kiyoshi?
»Ich weiß, dass du wach bist. Ich höre es an deinem Atem.«
Das Mondlicht fiel bleich durch die Gitterstäbe des kleinen Fensters. Jack drehte sich zu der Stimme um. Im Dämmerlicht meinte er, in Hanzos Gesichtszügen Akiko zu erkennen. Die hohen Wangenknochen, das fröhliche Lächeln und die Augen, die schwarz waren wie die Perle, die sie ihm einmal geschenkt hatte. Er wünschte sich inbrünstig, Hanzo wäre Kiyoshi. Um Akikos willen.
»Sollen wir versuchen, Soke das Kissen unter dem Kopf wegzuziehen?«, flüsterte Hanzo.
»Erinnerst du dich an deine Eltern, Hanzo?«
Hanzo sah ihn erstaunt an. »Meine Eltern?«
Jack nickte.
»Nur an das, was mein Großvater mir erzählt hat. Sie sind ums Leben gekommen, als ich fünf war.«
»Weißt du noch, ob du Geschwister hattest?«
Hanzo runzelte angestrengt die Stirn und überlegte. »Manchmal träume
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