Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
Großmeister, so zum Narren halten konnte.«
»Drachenauge war überaus verschlagen«, sagte Soke bitter. »Sobald ich Verdacht schöpfte, tat er so, als sei ihm ninniku sehr wichtig. Ich sah darin das Zeichen einer guten Entwicklung, aber er täuschte mich nur, um mir weitere Geheimnisse zu entlocke n – sogar dim mak. Er hat auf mir gespielt wie auf einer Bambusflöte!«
Schweigend saßen sie eine Weile da, während die Sonne hinter den Bergen verschwand. Die Dämmerung brach herein und der Gedanke an Drachenauge hing wie ein Schatten über ihnen.
»Einmal glaubte ich wirklich, er hätte sich geändert.« Soke schien spürbar erleichtert, über seine Schuld sprechen zu können. »Bei einer Tat zeigte er Tapferkeit und Mitgefühl, ganz im Sinne des ninniku . Er rettete einen Jungen.«
»Wen?«
»Hanzo.« Soke lächelte zum ersten Mal an diesem Abend. Er senkte die Stimme, damit Hanzo, der drinnen das Abendessen zubereitete, ihn nicht hörte. »Der Junge stammt in Wirklichkeit aus einem anderen Ninjaclan. Vor fünf Jahren wurde sein Dorf von Samurai angegriffen. Drachenauge rettete ihn vor dem sicheren Tod und bat mich dann, mich um ihn zu kümmern.«
Jack starrte Soke entgeistert an. »Hanzo ist gar nicht Euer Enkel?«
»Nein, er ist Waise. Aber es ist leichter für ihn, wenn er glaubt, ich sei sein Großvater.«
Jack traute seinen Ohren nicht.
Hanzo war von Drachenauge entführt worden. Kiyoshi auch. Beide vor fünf Jahren. Und beide hatten das gleiche Muttermal. Das konnte kein Zufall sein.
Hanzo ist keine Waise, dachte Jack. Und auch kein Ninja, sondern ein Samurai.
28
Das Kissen
Im Tal fiel leichter Sommerregen. Jack hatte sich unter dem Dach des Hauses untergestellt und lauschte dem Rauschen der Millionen Tropfen, die leise auf die Reisfelder nieselten.
Soke und Hanzo waren beide schon zu Bett gegangen, doch Jack konnte nicht schlafen. Das Gespräch mit Soke ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er glaubte Soke, doch war ihm unbehaglich dabei, unter demselben Dach wie Drachenauges Lehrer zu wohnen.
Seit seiner ersten Begegnung mit Soke hatte er das Gefühl, dass die Wahrheit wie Treibsand unter seinen Füßen war, und er traute Soke durchaus zu, dass er ihn ein zweites Mal in die Irre führte. Die Ninja waren schließlich Meister der Täuschung.
Doch tief in seinem Innern war Jack davon überzeugt, dass er jetzt den wahren Grund für Sokes Hilfsbereitschaft kannte.
Soke wollte ihm nicht den Portolan wegnehmen, er fühlte sich ganz einfach schuldig. Die Reue in seinen Augen war aufrichtig gewesen. Sie erklärte auch, warum Soke darauf bestanden hatte, dass Jack blieb, obwohl er dadurch das ganze Dorf gefährdete. Und der Großmeister hatte sein Versprechen gehalten, Jack im ninjutsu zu unterrichten. Dafür war Jack ihm dankbar, denn jetzt war er besser für seine Reise gerüstet. Aber er konnte nicht aufbrechen. Nicht jetzt, da er überzeugt war, in Hanzo Akikos vermissten Bruder gefunden zu haben.
Er hatte während ihres Gesprächs mit sich gerungen, ob er Soke einweihen sollte, doch noch bevor er einen Entschluss gefasst hatte, war Hanzo aus dem Haus gekommen, durch den Regen gehüpft und wieder zum Haus zurückgerannt.
»Sieh mal, ich werde fast gar nicht nass«, hatte er übermütig gekräht.
»Warum willst du denn dem Regen ausweichen?«, hatte Jack gefragt.
»Ich übe mich darin, so schnell wie der Blitz zu sein.«
Hanzo hatte darauf bestanden, dass Jack mitmachte. Zu zweit sprangen sie nach draußen in den Regen und wieder ins Haus zurück.
Soke hatte ihnen amüsiert zugesehen. »Sehr lustig«, hatte er gesagt, »aber ich bin noch schneller.«
Er war nach draußen gegangen und sofort klatschnass geworden.
»Was soll das denn für eine Übung sein?«, hatte Hanzo wissen wollen.
»Meine Schnelligkeit hat nichts damit zu tun, dass ich Regentropfen ausweichen kann. Das wäre zu einfach. Wenn es regnet, wird man nass, das ist eben so. Entscheidend ist, ob du mir ausweichen kannst!«
»Natürlich kann ich das, Großvater!«, hatte Hanzo gerufen und war losgerannt. Soke versuchte ihn im Spaß zu fangen.
Als Jack die beiden so zusammen sah, wurde ihm klar, wie glücklich der Junge wa r – als Ninja. War es richtig, seine Welt auf den Kopf zu stellen?
Andererseits war Akiko untröstlich über den Verlust ihres Bruders und Jack war ihr Freund. Sie hatte ein Recht darauf zu erfahren, dass ihr Bruder lebte. Kiyoshi war entführt worden. Er gehörte von Rechts wegen zu Akiko und ihrer Mutter
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