Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
Hiroko in Toba.
Jack hatte beschlossen, Soke nichts zu sagen. Er wusste nicht, was er damit vielleicht angerichtet hätte. Soke liebte den Jungen wie seinen eigenen Enkel. Und vielleicht irrte er sich ja doch.
Es gab nur eine Möglichkeit, zweifelsfrei zu beweisen, ob Hanzo wirklich Kiyoshi war: Akiko musste ihn selbst sehen.
Aber wie sollte das gehen?
Erstens wusste Jack nicht, wo genau das Dorf lag. Zweitens musste er Akiko eine Nachricht zukommen lassen. Drittens duldeten die Ninja bestimmt nicht noch einen Samurai in ihrem Dorf.
Bis er eine Möglichkeit gefunden hatte, mit Akiko Kontakt aufzunehmen und sie mit ihrem Bruder zusammenzubringen, musste er wohl oder übel bleiben. Er würde einfach sagen, er müsse noch mehr üben. Seine Reise würde sich weiter hinauszögern, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er auch bleiben. Die Aussicht, Akiko wiederzusehen, machte ihn glücklich.
Mit diesem angenehmen Gedanken kehrte er leise ins Haus zurück. Im Zimmer mit der Kochstelle leuchtete die Glut rötlich im Dunkel und er sah, dass Sokes Tür nur angelehnt war. Die Herausforderung des Großmeisters fiel ihm ein. Ob er im lautlosen Gehen inzwischen gut genug war? Er hatte es nach vielem Üben endlich geschafft, über das Reispapier zu gehen, ohne es zu zerreißen. Jetzt würde er gleich wissen, ob sich die Mühe gelohnt hatte.
Wie ein Geist glitt er in Sokes Schlafzimmer. Seine Gedanken waren stumm, seine Füße berührten kaum den Boden. Der Großmeister rührte sich nicht, sein Kopf lag auf dem Kissen.
Wie sollte er das Kissen wegziehen, ohne ihn zu wecken?
Jack spürte plötzlich, dass ihm Wasser in den Nacken tropfte. Er hob den Kopf. Das Strohdach über ihm hatte ein kleines Loch.
Der Ring des Wassers , dachte er. Er streckte den Arm aus und zog vorsichtig an einem losen Strohhalm. Dann wartete er.
Der Regen sickerte langsam durch das Stroh und am Ende des hervorstehenden Strohhalms bildete sich ein Tropfen. Der Tropfen fiel Soke auf die Stirn.
Der Großmeister murmelte etwas, drehte sich auf die Seite und hob dabei den Kopf an. Im selben Moment zog Jack das Kissen heraus. Soke legte den Kopf auf die Strohmatte. Jack lächelte. Er hatte es geschafft!
Sokes Augen gingen auf. Er sah Jack an, dann das Kissen und schließlich das Dach, von dem soeben ein zweiter Tropfen heruntergefallen war, und lachte.
»Du scheinst für die große Prüfung bereit zu sein, Jack.«
29
Die große Prüfung
Das ist doch vollkommen verrückt , dachte Jack und kniete sich auf die große, flache Felsplatte, die aus der Bergflanke hervorstand. Tief unter sich sah er klein wie Ameisen die Dorfbewohner auf den Reisfeldern, über ihm wölbte sich ein wolkenloser Himmel. Hinter ihm stand Soke. Er hielt ein Schwert in der Hand.
Auf der Felsplatte kniend hatte Jack gegen den Ninja so gut wie keine Chance. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und er konnte immer noch nicht glauben, wozu er sich da hatte überreden lassen. Zwar hatte er schon während seiner Ausbildung zum Samurai einige schwierige Herausforderungen meistern müsse n – er hatte mit bloßen Händen Holzbretter durchschlagen, an einem Spießrutenlauf teilgenommen und sogar unter einem eisigen Wasserfall stehend die Grenzen von Geist und Körper überwunden. Aber das hier war der Gipfel.
Gespanntes Schweigen verbreitete sich unter den Ninja, die sich versammelt hatten, um seiner Prüfung beizuwohnen. Links warteten Shonin und Momochi neugierig darauf, wie der Gaijin abschneiden würde. Jack ließ den Blick nervös zu der Gruppe zu seiner Rechten wandern. Hanzo, Tenzen und Miyuki standen ganz vorn. Miyuki schien sein Unbehagen zu genießen und starrte ihn ununterbrochen an, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Hanzo zappelte vor Aufregung. Von den übrigen Ninjaschülern sah ihn nur Tenzen mit einem ermutigenden Lächeln an.
Jack schwitzte und sein Herz raste. Er holte ein paarmal tief Luft, um sich zu beruhigen. Soke hatte ihm geraten, an nichts zu denken, nicht einmal daran, ob er bestehen würde oder nicht. Wenn er erst anfing zu denken, fiel er ganz bestimmt durc h – und war womöglich tot.
Ziel der Prüfung war es, in den Ring des Himmels zu gelangen, also die Leere zu erfahren und die unsichtbare Kraft des Universums für sich zu nutzen. Jack musste sich in den Zustand des mushin versetzen, der »Bewusstseinslosigkeit«. Er musste handeln, ohne nachzudenken und ohne sich seiner Sinne zu bedienen.
»Die große Prüfung möge beginnen«, rief
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