Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
Das Gewicht der ganzen Welt schien auf seinen mageren Schultern zu lasten. Er sah Jack mit Augen voller Kummer und Reue an und wirkte auf einmal hinfällig und gebrechlich wie der alte Mann, der er ja auch war.
Er nickte müde. »J a … Drachenauge war mein Schüler.«
»Warum habt Ihr mir das nicht gesagt?«
»Wärst du dann geblieben?«, fragte Soke.
»Natürlich nicht.«
Jack hatte überlegt, ob er gleich gehen sollte, nachdem Miyuki ihm von Drachenauge erzählt hatte. Wie konnte er einem Mann trauen, der seinen größten Feind zum Ninja ausgebildet hatt e – und damit indirekt für den Tod seines Vaters verantwortlich war?
»Damit hast du deine Frage selbst beantwortet.« Soke setzte sich auf die Bank vor dem Haus.
Jack sah ihn verwirrt an. Spielte Soke ein grausames Spiel mit ihm wie eine Katze, die eine Maus langsam zu Tode quält? Bestimmt wusste der Großmeister von dem Portolan und kannte seine Bedeutung. Er wartete nur den richtigen Zeitpunkt ab, um zuzuschlagen.
»Was wollt Ihr von mir?«
Soke lächelte ihn gütig an. »Ich will dir nur helfen.«
»Aber warum?«
»Setz dich.« Soke klopfte auf den Platz neben sich. »Dann erkläre ich dir alles.«
Widerstrebend setzte Jack sich, allerdings in einigem Abstand zu Soke.
Soke holte tief Luft und begann. »Drachenauge oder vielleicht besser: Yoshiro, wie er sich selbst nannte, kam genau wie du in unser Dor f – allein und auf der Flucht vor den Samurai. Er war Bauer gewesen, bis sein Dorf während der Schlacht am Nakasendo geplündert wurde. Ein Pfeil hatte ihn getroffen und er hatte ein Auge verloren. Wir nahmen ihn aus Mitleid bei uns au f …«
»Er hieß nicht Yoshiro«, verbesserte Jack, »und er war auch kein Bauer. In Wirklichkeit hieß er Hattori Tatsuo und war ein Samuraifürst. Er war der besiegte Daimyo des nördlichen Japan. Und das Auge hat er sich selber herausgerissen.«
Soke sah ihn verblüfft an und zog die Augenbrauen hoch. Dann lachte er heiser und schlug mit seinem Stock auf den Boden. »Das erklärt allerdings eine Menge. Ich hatte immer den Verdacht, er könnte mehr sein, als er vorgab. Er war ein Meister der Täuschung und wahrscheinlich der begabteste Schüler, den ich je die Ehre hatte zu unterrichten.«
Jack zuckte sichtbar zusammen, als der Großmeister seinen Erzfeind so lobte.
»Ich meine, nur was seine Fähigkeiten anbelangt«, fügte Soke rasch hinzu. »Der Geist des ninniku blieb ihm immer fremd. Er konnte nicht verstehen, wie wichtig ein reines Herz für den wahren Ninja ist.«
»Warum habt Ihr ihn dann überhaupt unterrichtet?«
»Ich bemerkte nicht, wie verderbt er im Innern war. Und in unseren Kampfkünsten war er ein solches Naturtalent, dass ich sogar überlegte, ihn zu meinem Nachfolger als Großmeister zu machen!« Soke schüttelte den Kopf. Dass ausgerechnet er sich so leicht hatte täuschen lassen!
»Doch bei Einsätzen erkannte ich seine wahre Natu r – seine Grausamkeit und seine Lust am Töten. Ich wollte ihn ändern und auf den rechten Weg zurückführen, doch da war es bereits zu spät. Er hatte alles gelernt, was er brauchte, und verließ uns, um selbst einen Ninjaclan zu gründen.«
»Ihr habt diesen Teufel also erschaffen«, sagte Jack. Es klang mehr wie eine Feststellung als eine Anklage. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen, als er an all das Unheil und das Leid dachte, das Drachenauge über ihn und seine Freunde gebracht hatte.
»Leider ja.« Soke senkte den Blick. »Ich fühle mich deshalb für deine Not verantwortlich. Als du mir vom Schicksal deines Vaters erzähltest, wollte ich Wiedergutmachung leisten.« Er nahm Jacks Arm und fuhr eindringlich fort: »Ich dachte, wenn ich dich die Kunst der Ninja lehren könnte, die du für deine weitere Reise brauchs t … könnte ich einen kleinen Teil meiner Schuld begleichen. Und du könntest mir vielleicht verzeihen.« Soke ließ Jack los und senkte den Kopf wie ein Sünder, der betet.
Er wirkte so verletzlich wie noch nie und schien seinen Fehler aufrichtig zu bereuen. Natürlich hatte er Drachenauge zu dem schrecklichen Ninja gemacht, der er war, aber Jack konnte ihm nicht die Untaten seines Schülers vorwerfen. Verantwortlich für den Tod seines Vaters war allein Drachenauge und mit ihm Pater Bobadillo.
»Es war nicht Eure Schuld«, sagte er. »Und was ich von Euch gelernt habe, lässt mich für meine weitere Heimreise hoffen.«
Soke hob erleichtert den Kopf.
»Aber ich verstehe nicht, wie Drachenauge jemanden wie Euch, den
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