Samurai 4: Der Ring der Erde (German Edition)
Kopf und sah zu seiner Erleichterung Miyuki. Er hatte schon befürchtet, es könnte wieder Shiro sein, der nun schon verschiedentlich unerwartet aufgetaucht war und ihn jedes Mal über die Samurai und ihre Gebräuche ausgefragt hatte. Jack konnte einfach nicht mit ihm warm werden, sosehr er es auch versuchte. Doch offenbar hatte Shiro Momochi nichts von dem verdächtigen Brief erzählt und dafür war Jack ihm dankbar.
Miyuki trug einen schlichten weißen Sommerkimono. In den Händen hielt sie einen runden Strohhut mit einer breiten Krempe, der vor der Sonne schützte. Demnach trainierte sie an diesem Tag nicht, sondern arbeitete wie alle anderen auf den Feldern.
»Ich habe für meine Schwester gebetet«, sagte Jack.
Und das stimmte auch. Jeder Tag, den er auf Akiko wartete, war ein weiterer Tag, den Jess überleben musste. Er hatte die Gelegenheit auch dazu genutzt, den Beistand seiner Eltern für die bevorstehende Reise zu erbitten.
Miyuki nickte mitfühlend und setzte sich neben ihn. »Ich bete hier auch oft für meine Familie.«
Jack warf einen Blick zu dem kleinen Friedhof hinüber. »Sind sie hier begraben?«
»Nein, aber ich habe ihnen zu Ehren einen Merkstein aufgestellt.«
Diesmal nickte Jack verständnisvoll.
Sie verfielen beide in Schweigen und starrten gedankenverloren über das Tal.
»Ich vermisse meine Familie«, flüsterte Miyuki auf einmal mit erstickter Stimme.
Wie verletzlich sie trotz ihrer rauen Schale doch ist!, dachte Jack. Er spürte ihre Einsamkeit und ihre innere Leere. »Ich vermisse meine Eltern auch«, sagte er leise.
Miyuki sah ihn mit tränennassen Augen an.
»Wenigstens ist der Mörder deines Vaters tot. Du hast deine Rache gehabt. Ich nicht.« Sie ballte die Fäuste im Schoß. »Aber eines Tages werde ich die Samurai dafür bestrafen, was sie getan haben.«
Hass sprühte aus ihren Augen. Er galt diesmal nicht Jack, aber Jack wusste, was er anrichten konnte. Ihm fielen die Worte seines Zen-Meisters ein, als er den Tod seines Vaters hatte rächen wollen. »Rache ist keine Lösung. Sie frisst dich von innen her auf, bis nichts mehr übrig ist. Ich habe Drachenauge nicht getötet. Das hat mein Freund getan und er hat dafür sein Leben geopfert. Aber Drachenauges Tod hat mich nicht getröstet. Ich trauere immer noch jeden Tag um meinen Vater. Wende dich dem Leben zu, nicht dem Töten.«
»Aber wie soll ich das machen? Wenn ich abends einschlafe, sehe ich meine Mutter, wie sie vor meinen Augen stirb t …« Miyuki verstummte. Ihre Lippen zitterten, als ob sie etwas sagen wollte, es aber nicht konnte.
»Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragte Jack, denn er spürte, dass Miyuki sich ihren Kummer von der Seele reden musste. Vielleicht hatte sie noch nie mit jemandem darüber gesprochen, aus Angst, man könnte sie für schwach halten, für einen unwürdigen Ninja.
Miyuki schwieg. Dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. »Ich war damals acht. Es war Sommer. Mein Bruder Jun spielte draußen mit meinem Vater. Ich war im Haus und half meiner Mutter bei der Hausarbeit. Die Samurai griffen ohne Vorwarnung an. Sie plünderten unser Dorf und töteten all e … all e …« Miyuki rang zitternd nach Atem, als sie den Albtraum von Neuem durchlebte. »Mein Vater brüllte, wir sollten weglaufen. Meine Mutter hörte ihn vor Schmerz aufheulen und schubste mich rasch unter die Dielenbretter. Jun kam schreiend hereingerannt. Meine Mutter stellte sich schützend vor ihn, aber der Samurai stieß sie nur zur Seite und schlug ihn tot. Er war erst fünf! Was hatten die Samurai von ihm zu befürchten?«
Miyuki begann zu schluchzen. »Meine Mutter brach auf dem Boden zusammen, genau an der Stelle, unter der ich mich versteckte. Ich glaube, sie wollte auf diese Weise verhindern, dass mich der Samurai dort entdeckte. Sie leistete keine Gegenwehr, aber der Samurai tötete sie trotzdem. Ich spähte zwischen den Dielenritzen hindurch und musste mit ansehen, wie er sie mit dem Schwert durchbohrte!«
Jack hatte das tiefe Bedürfnis, Miyuki zu trösten. Auch er war damals Zeuge geworden, wie sein Vater von einem Schwert durchbohrt wurde. Das schreckliche Bild hatte sich unauslöschlich in seine Seele gebrannt. Mitfühlend legte er den Arm um Miyuki. Sie versteifte sich einen Moment lang, dann ließ sie es geschehen und weinte an seiner Schulter.
»Deine Mutter scheint sehr mutig gewesen zu sein«, sagte Jack. »Sie hat wie mein Vater ihr Leben geopfert, damit du weiterleben konntest. Deshalb
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