Samurai 7: Der Ring des Windes (German Edition)
zur Flucht. Die Wachen ließen sie nicht aus den Augen, und sie begegneten auf der Fahrt durch das Binnenmeer auch keinem anderen Schiff. Jack tat sein Bestes, seine Freunde bei Laune zu halten, aber sie waren so erschöpft, dass er fürchten musste, sie würden nicht einmal die Kraft zur Flucht haben, wenn sich eine Gelegenheit bot.
Kurz vor Sonnenuntergang kam Cheng mit einem Krug und zwei großen Schüsseln Reis. Die Wachen öffneten die Tür und ließen ihn hinein.
»Reis und Wasser auf Befehl des Captains«, erklärte er.
»Können wir den Reis essen?«, fragte Saburo misstrauisch.
Cheng nickte. »Ich habe ihn selbst gekocht … Der Koch ist tot.«
Heißhungrig und von der Fahrt auf dem Floß wie ausgedörrt fielen die vier Freunde über das einfache Mahl her. Der Wasserkrug war nach wenigen Runden geleert, der Reis verschwand fast genauso schnell.
Cheng wartete währenddessen neben dem Käfig.
»Kannst du uns helfen zu fliehen?«, fragte Jack ihn zwischen zwei Mundvoll Reis leise.
»Ich würde es ja, aber es geht nicht«, erwiderte Cheng ebenso leise. »Ich werde auf Schritt und Tritt beobachtet. Der Kapitän sagt, wenn ihr flieht, lässt er mir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen.«
Jack nickte. »Wohin bringt man uns?«
»Zur Pirateninsel – in das Versteck der Winddämonen.«
»Ist dort auch Tatsumaki?«
Cheng nickte.
»Bist du ihm schon begegnet?«, fragte Miyuki.
Cheng schüttelte den Kopf. »Ich war noch nie auf der Pirateninsel. Ihre Lage ist ein streng gehütetes Geheimnis.« Er sah die anderen ernst an. »Aber ich habe gehört, dass niemand überlebt, der Tatsumaki gesehen hat.«
30
Kamikaze
Die Morgendämmerung brach an wie eine blutende Wunde und die am fernen Horizont dahineilenden Wolken verfärbten sich unter den feurigen Strahlen der Sonne leuchtend rot. Ein kräftiger Südwind wehte, aber das Meer war trotzdem unnatürlich ruhig.
Rote Sonne am Morgen bringt dem Seemann Sorgen, dachte Jack abwesend, während er seine steifen, schmerzenden Muskeln massierte.
Die Nacht auf den harten Planken war kalt und unbequem gewesen. Sie hatten sich eng nebeneinander gelegt und einer hatte immer Wache gehalten für den Fall, dass sich eine Fluchtmöglichkeit bot … oder dass die Piraten sie überfallen wollten.
Er stand auf und streckte sich. Der Anblick, der sich ihm bot, war atemberaubend. Mitten im Meer schwebte ein prächtiges, feuerrotes Tempeltor. Es war so groß, dass die Schwarze Spinne mit umgelegten Masten hätte hindurchfahren können. Mit seinen vier Stützpfeilern und dem geschwungenen grünen Ziegeldach bildete es den Eingang zum Hafen einer kleinen, bewaldeten Insel. In der geschützten Bucht stand ein großer Tempel, der ebenfalls auf dem Wasser schwebte. Die große, feuerrot gestrichene Tempelhalle mit ihren offenen Galerien und Fenstern blickte zum Meer, das Dach spiegelte sich in den plätschernden Wellen. Hinter dem Tempel ragte ein bewaldeter Berg zum Himmel auf. Sein Gipfel war wie ein Tor zum Himmel in einer Dunstwolke verborgen.
»Ist das die Pirateninsel?«, fragte Saburo verblüfft und stand auf.
Yori rieb sich den Schlaf aus den Augen und schüttelte den Kopf. »Nein, das muss Miyajima sein – die legendäre Tempelinsel.«
»Wie wunderschön sie ist«, sagte Miyuki andächtig.
»Warum steht der Tempel auf dem Wasser?«, fragte Jack.
»Die Insel ist heilig«, erklärte Yori ehrfürchtig. »Einfache Menschen dürfen sie nicht betreten. Deshalb hat man den Tempel auf Stützpfeilern über dem Wasser erbaut. Weil er nicht an Land steht, schwebt er in einer Art Zwischenbereich, zwischen der Welt des reinen Geistes und unserer unreinen Welt.«
»Und warum steht das Tempeltor so weit von ihm entfernt?«
»Der Tempel ist den drei Töchtern des Susano-o gewidmet, der Shinto-Gottheit der Meere und Stürme. Wer zu ihnen beten will, muss sein Schiff zuerst durch das Tor steuern, um sich zu reinigen, bevor er sich der heiligen Insel nähert.«
Jack hoffte, dass die Winddämonen fromme Anhänger des Susano-o waren. Die nahe gelegene Insel war womöglich ihre ersehnte Gelegenheit zur Flucht.
Captain Kurogumo trat aus seiner Kajüte und stieg zum Achterdeck hinauf. Cheng folgte dicht hinter ihm mit einem Tablett, auf dem eine Porzellantasse, ein Topf mit dampfendem Tee und ein kleiner Krug Sake standen. Er gab sich sichtlich Mühe, es dem Kapitän recht zu machen. Der Kapitän übersah den Tee, griff gleich nach dem Reiswein und stürzte ihn mit einem Zug
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