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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Meter hinter den anderen
waren. Ich ging schneller und Kerstin auch. Ihre Schritte waren größer als
meine. Sie hatte längere Beine als ich.
    „Haben sie sie wirklich gestohlen?“, fragte sie. „Sind die wirklich so
gemein?“
    „Die Schokolade ist weg“, antwortete ich. „Ich hab nicht ein einziges
Stück bekommen.“
    „Vielleicht liegt sie irgendwo vergessen rum“,
sagte sie.
    „Vergessene Schokolade? Und das glaubst du?“
    „Nein.“
    Sie lächelte wieder.
    „Sollte das nicht eins der Zehn Gebote sein?“, fuhr ich fort. „Du
sollst keinem Kind Schokolade stehlen.“
    „Es ist doch in dem anderen enthalten“, sagte sie. „Du sollst nicht
stehlen.“
    „Es müsste ein eigenes Gebot geben.“
    „Hast du sie gefragt?“
    „Ich hab sogar gesucht“, antwortete ich und erzählte ihr davon.
    „Hattest du keine Angst?“, fragte Kerstin, als ich fertig war.
    Sie sah auf einmal ängstlich aus. Es war, als ob die Alte plötzlich
aufgetaucht wäre und nun neben uns herkeuchte.
    Wir näherten uns dem Badeplatz. Ich hörte die Kinder dort schreien. Es
mussten Hunderte von Kindern sein.
    Die Stege ragten weit ins Wasser hinaus. Ich sah ein Stück von ihnen
hinter der Klippe, die wir gleich umrunden würden. Vielleicht war es ein
schöner Badeplatz. Aber für mich war es kein Badeplatz, wo man Spaß hatte. Wenn
ich irgendwann über mich selbst bestimmen durfte, würde ich nie mehr hierher
zurückkommen wollen. Es gab so viele Orte, an die ich nicht zurückkehren
wollte.
    „Hattest du keine Angst?“, wiederholte Kerstin ihre Frage.
    „Klar hatte ich Angst.“
    „Und sie hat nicht versucht, dich zu schlagen?“
    „Nein. Das war ihr Glück.“
    Ich wollte nicht erzählen, dass mir die Alte fast das Ohr abgedreht
hätte. Es war mir peinlich, und ich musste mich zusammenreißen, mein Ohr nicht
zu berühren. Dann würde Kerstin auffallen, dass es immer noch geschwollen war.
    Ich sah sie an, aber sie guckte nicht zu meinem Ohr. Sie schien über
den See zu spähen, zum Camp, als könnte sie die Alte auf der Treppe sehen.
    „Sie ist grässlich.“
    „Noch viel schlimmer“, sagte ich.
    „Wenn du noch mal was anstellst, wirst du nach Hause geschickt.“
    „Es gibt kein Zuhause“, sagte ich. „Warum nicht?“
    „Meine Mutter ist verreist.“
    „Dann zu einem anderen Camp?“
    „Ich glaub nicht, dass mich jemand haben will.“
    „ALLE MAL HERHÖREN!“, schrie eine der Betreuerinnen.
     
    Draußen auf dem Steg ging ein schwacher Wind. Das Boot trieb immer
noch mit leicht geblähtem Segel auf dem See. Es sah aus, als suchte es einen
Weg hinaus, fand ihn jedoch nicht, da der See zu groß war. Das Boot würde hier
bleiben.
    „Worüber hast du mit ihr geredet?“, fragte Klops.
    Er saß neben mir. In der Badehose sah er wirklich aus wie ein Klops,
rundlich und knackig, zum Reinbeißen.
    „Was wollte sie?“
    „Nichts.“
    „Ich hab doch gesehen, dass du mit ihr geredet
hast. Dafür, dass sie nichts wollte, habt ihr ziemlich lange geredet.“
    „Sie ist nur zufällig neben mir hergegangen.“
    „Keine Mädchen, das haben wir doch abgemacht.“
    „Wirklich?“
    „Du hast das gesagt, Kenny.“
    „Es kommt wohl darauf an, wie man es meint.“
    „Wie meinst du es denn?“
    „Ach, lass“, sagte ich, weil ich nicht darüber sprechen wollte.
„Wollen wir tauchen?“
    Wir tauchten. Hier war das Wasser klarer als beim Camp. Ich konnte
meine Finger sehen. Sie waren grün. Grün wie Kerstins Augen. Ich dachte wieder
an sie. Daran war Klops schuld. Vor mir sah ich seine Beine zappeln. Sie sahen
aus wie Mini-Würstchen. Ich blieb unter Wasser, bis ich das Gefühl hatte, mir
würde der Kopf platzen. Trotzdem dachte ich keine Sekunde daran, dass ich hier
nicht atmen konnte, und einen Moment schien es, als würde ich immer hier unten
bleiben.
    Als ich wieder an die Wasseroberfläche kam, schnappte ich nach Luft
wie ein Blasebalg. „Ich hab gedacht, du bist ertrunken“, sagte Klops. „Neuer
Rekord.“
    Er kletterte vor mir die Leiter hinauf.
    „Ich glaub, es ist Zeit für den Imbiss“, sagte er.
    Der Imbiss bestand aus Zimtwecken und Saft. Alle bekamen etwas, nur
ich nicht.
    „Tommy hat seine Grütze nicht aufgegessen“, sagte die Betreuerin.
    „Wo ist sie?“, fragte ich.
    Die hatten sie nicht mitgenommen. Hätten sie es getan, hätte ich sie
aufgegessen, nur um es ihnen zu zeigen.
    Ich ging weg und setzte mich hinter die große Klippe. Das Segelboot
war immer noch da, aber der Wind hatte sich wieder

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