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Samuraisommer

Samuraisommer

Titel: Samuraisommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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ließ Christian sich
nicht blicken. Sie sah mich nicht an, sondern schaute aus dem Fenster, als
würde auch sie nach ihm Ausschau halten. Dann drehte sie sich zu mir um.
    „Wir können deine Mutter nicht finden.“
    „Sie ist nicht zu Hause“, antwortete ich.
    „Das wissen wir.“ Die Alte sah wieder aus dem Fenster, als ob sie
diesmal nach Mutter Ausschau hielte. „Aber sie scheint auch nicht in diesem
anderen ... Etablissement zu sein.“
    E-ta-blis-se-ment. Als ob das
andere ein Etablissement wäre. Wie ein Schloss. Aber in der Stadt gab es kein
Schloss. Das Schloss war hier.
    „Wir haben deine Mutter also nicht gefunden.“ Sie wandte sich wieder
vom Fenster ab. „Weißt du etwas, Tommy? Wo sie sein könnte?“
    Ich dachte an den Brief, den ich bekommen hatte, den letzten, in dem
die Buchstaben so undeutlich gewesen waren. Sie hatte geschrieben, sie würde
verreist sein, wenn ich nach Hause kam, und dass sie es mir erklären würde,
wenn sie zurück sei. Alles ist geregelt, hatte sie geschrieben. Du brauchst dir
keine Sorgen zu machen. Alles wird gut.
    Ich schüttelte den Kopf.
    „Du musst doch irgendwas wissen?“
    Wieder schüttelte ich den Kopf.
    „Kenny?“
    Jetzt war ich also Kenny. Sie wollte es wirklich wissen. Dann wurde
ich plötzlich nervös. Als würde ich erst jetzt verstehen.
    „Was ist passiert?“, fragte ich. „Mit... Mama?“
    „Es ist nichts passiert, nicht, soweit wir wissen.
Wir wollten nur mit ihr reden, aber sie war nicht da.“
    „Worüber?“, fragte ich. „Was?“
    „Worüber wollten Sie mit ihr reden?“
    „Natürlich über dich. Wie du dich hier benimmst.“
    Ich nickte.
    „Das verstehst du? Du verstehst, dass du dich schlecht benimmst?“
    Ich antwortete nicht. Deswegen hatte ich nicht
genickt. „Wir können dich nicht hier behalten. Das verstehst du wohl auch?“
    Sie schaute wieder aus dem Fenster. Ich konnte nicht hinaussehen. Aber
ich wusste, dass die Sonne schien und der Himmel blau war. Es war genauso warm
wie in der vergangenen Woche und der Woche davor. Auch heute war ein
Bademarsch um den See befohlen. Ich wusste, dass sich in diesem Moment alle
vorm Haus aufstellten.
    „Darüber wollten wir also mit deiner Mutter sprechen.“ Die Ate strich
sich über die Haare, die sie mit Nadeln im Nacken festgesteckt hatte. Die
Nadeln waren wie geheime Waffen. „Aber jetzt wissen wir nicht, was wir mit dir
machen sollen.“
    Ich war fast froh, dass Mutter schon nicht mehr da gewesen war. Sie
hatte den richtigen Zeitpunkt zum Abhauen gewählt.
    „Die Leute vom Erholungsheim müssen eine Suchmeldung bei der Polizei
rausgeben“, sagte die Alte jetzt. „Sie ist seit mehr als vierundzwanzig Stunden
verschwunden.“
    Das Erholungsheim. Ich sah Mutters Gesicht vor mir, aber es war
undeutlich wie die Buchstaben im Brief.
    „Hast du keinen Brief bekommen?“
    Meine Gedanken wurden unterbrochen. Die Alte schaute auf mich
herunter.
    „Du hast doch dieser Tage einen Brief bekommen?“
    Ich nickte. Das konnte ich ja nicht bestreiten.
    „War er von deiner Mutter?“
    „Schon.“
    „Was hat sie geschrieben?“
    „Nichts.“
    „Wo ist der Brief?“
    „Der... ist weg.“
    „Weg? Wieso?“
    „Ich hab ihn im Wald verloren.“
    „Was du nicht sagst. Du hast den Brief im Wald
verloren?“
    Ich nickte wieder. Sie sah mich an, als hätte sie durchschaut, dass
ich log, aber wusste, dass sie mich nicht zwingen könnte zu sagen, wo ich den
Brief versteckt hatte.
    „Was hat sie geschrieben?“, fragte die Alte.
    „Nichts ... Besonderes. Nur dass sie verreist sein würde, wenn ich
zurückkomme.“
    „Ist das nichts Besonderes? Was sagst du da? Das darf doch nicht wahr
sein. Wohin wollte sie fahren?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Und wo solltest du wohnen, während sie weg ist?“
    Das würde ich ihr natürlich nicht sagen. Die Alte sollte mich nicht zu
Mutters Freundin und ihrem bekloppten Sohn schicken können.
    „Das wollte sie regeln“, sagte ich.
    „Regeln? Wie denn?“
    „Sie wollte mir noch mal dazu schreiben.“
    „Himmel“, sagte die Alte. „Was für eine Familie.“
    Sie erhob sich. Ich stand auch auf.
    „Du kannst jetzt zu den anderen rausgehen“, sagte sie.
    Als ich bei der Tür war, rief sie noch einmal.
    „Glaub ja nicht, dass die Sache damit erledigt ist“, sagte sie von
ihrem Schreibtisch. „Sobald wir deine Mutter erreicht haben, verschwindest du
von hier.“
     
    Es verging ein Tag, es vergingen zwei. Mir war klar, dass die Suche
nach Mutter lief,

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